Seehofer in der FAZ

Migration steuern

Horst Seehofer
Horst Seehofer

In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat der CSU-Vorsitzende, Bundesinnenminister Horst Seehofer erklärt,warum das Recht auf Zurückweisung an der Grenze notwendig ist. Hier der Namensartikel im Wortlaut:

Deutschland im Frühsommer 2018

Deutschland steht vor schweren Entscheidungen. Entscheidungen, die wir treffen müssen, um das, was wir alle gemeinsam geschaffen haben, zu schützen. Der Zusammenhalt Europas steht auf dem Spiel, ebenso der Zusammenhalt in Deutschland. Die Lage ist ernst, aber sie ist bewältigbar. Ich will als Bundesinnenminister und als Vorsitzender der Koalitionspartei CSU in meiner Verantwortung für Deutschland und Europa darlegen, wie wir diese schwierige Zeit bewältigen können. Die bestehende Ordnung, die wir alle kennen und lieben, sie geht dem Ende zu und es entsteht eine neue Ordnung. Ich stimme Michael Stürmer zu: „Amerikas Jahrhundert ist noch nicht zu Ende, das chinesische Jahrhundert hat noch nicht begonnen. Ein Interregnum steht bevor. Nach aller Erfahrung sind solche Zeiten voller Gefahr, Drama und Konflikt. Eine ordnungsmäße freundschaftliche Machtübergabe wäre ein Novum in der Weltgeschichte. Die Konfrontation des Kalten Krieges mit abgezirkelten Frontlinien und vertragsmäßig gebändigten Konflikten, so zeigt sich heute, war die Ausnahme, nicht die Regel.“ Eine der wesentlichen Folgen der bestehenden Unordnung des Übergangs ist die Migration aus dem Nahen Osten und Afrika zu uns nach Europa. Sie hat Europa unvorbereitet getroffen. Die Deutschen sehen und spüren das im Alltag. Zuwanderung wegen Verfolgung, Vertreibung und schlechten Lebensbedingungen hat die Bevölkerung in Stadt und Land verändert. Gewohntes und Tradiertes trifft auf Fremdes und Neues. Sichergeglaubtes wird mehr und mehr in Frage gestellt und die Menschen sorgen sich um die Zukunft. Gefühlter Kontrollverlust und teilweise auch Kontrollverzicht haben zu einem Erstarken populistischer Kräfte in Deutschland und Europa geführt. Daher muss politische Führung in Deutschland und Europa den Bürgern wieder glaubhaft machen, dass wir Migration steuern können, dass wir Kontrolle über die Geschehnisse haben und dass die Bürger sich nicht sorgen müssen und ihrem Leben nachgehen können.

Genau dafür habe ich gemeinsam mit meinem Ministerkollegen Gerd Müller einen Masterplan Migration erarbeitet, der in 63 Maßnahmen Migration nach Deutschland und Europa getreu dem Koalitionsvertrag ordnen, steuern und begrenzen soll. Er beginnt bewusst mit Maßnahmen in den Herkunftsländern, widmet sich den Transitländern, der Europäischen Union sowie all den Maßnahmen, die wir in Deutschland verbessern wollen. Der Masterplan ist keine Kritik an Geschehenem, sondern eine auf in den vergangenen drei Jahren gemachten Erfahrungen beruhende Weiterentwicklung europäischer und deutscher Migrationspolitik, zu der in 62 von 63 Maßnahmen volles Einvernehmen mit der Bundeskanzlerin vorliegt. Ich stelle heute diesen Masterplan Migration dem CSU-Vorstand vor, um eine sachliche Diskussion mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung führen zu können. Der Streit um den richtigen Weg ist doch der Wesenskern der Demokratie, vor allem in demokratischen Parteien. Wir brauchen angesichts der Dimensionen des Migrationsphänomens Lösungen für ganz Deutschland und Europa. Das sage ich auch im Bewusstsein des Vorsitzenden der CSU, einer stolzen europäischen Partei, die mit Bayern das Bundesland mit der mit fast 1200 Kilometer längsten deutschen Außengrenze zu europäischen Nachbarn und Freunden regiert. Bayern ist ein Vorzeigeland Europas und eine Drehscheibe der europäischen Wirtschaft. Ohne ein stabiles Deutschland wird es kein stabiles Europa geben, das war und ist geradezu das Grundmotiv des europäischen Einigungsprozesses. Daher sehe ich es als Bundesinnenminister im Geiste meines geleisteten Amtseides für zwingend an, eine für Deutschlands Wohlergehen verantwortliche Innenpolitik zu machen. Und zur Innenpolitik zählen nun einmal Zuwanderungsfragen und deren Bewältigung im Interesse der deutschen Staatsbürger.

Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass der EU-Gipfel Ende Juni endlich zu Beschlüssen kommt, die Deutschlands Lasten in der Migrationspolitik anerkennen und einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen und eine faire Verteilung der Menschen mit Bleiberecht ebenso gewährleisten wie eine schnelle Rückführung der Menschen ohne Bleiberecht. Denn eines haben uns die vergangenen drei Jahre gezeigt: Die meisten der zu uns gekommenen Menschen wollen ein besseres Leben, aber nicht alle fallen deswegen bereits unter den Schutz des deutschen Asylgrundrechts oder der Genfer Flüchtlingskonvention. Die humanitäre Hilfe der Deutschen war und ist groß, vor allem in Bayern, darauf bin ich stolz. Aber ich wäre ein schlechter Bundesinnenminister, wenn ich nicht darauf bestehen würde, das europäisches und deutsches Recht dort eingehalten werden muss, wo Menschen ersichtlich kein Bleiberecht haben. Wir können nicht alle aufnehmen, da stimme ich der SPD-Vorsitzenden zu. Aber das heißt für mich nicht, dass wir nicht allen helfen können und müssen. Wenn es in Deutschland und Europa nicht geht, ohne den Zusammenhalt durch Überlastung unserer verunsicherten Bevölkerungen zu gefährden, dann werden wir unsere Hilfe bei diesen Menschen im Nahen Osten und in Afrika noch massiv verstärken müssen. Was China mit seinem Projekt einer Neuen Seidenstraße für Eurasien vorzeigt, müssen wir in Europa doch auch für Afrika und den Nahen Osten hinbekommen, nämlich eine strategische Entwicklung für den südlichen und östlichen Mittelmeerraum, der Millionen von Menschen in ihrer Heimat eine Lebensperspektive verschafft. Dafür brauchen wir Einigkeit und Entschlossenheit in Europa. Leider herrscht diese Einigkeit noch nicht. Fast jedes Mitgliedsland interpretiert in Migrationsfragen europäisches Recht anders. Ein Blick an die dänische, französische, italienische, schwedische oder österreichische Grenze genügt. Ich kann und will nicht verantworten, dass wir Menschen eine Zuwanderung gestatten, die ihnen nach Auslegung europäischen Rechts gar nicht zusteht. Für diese Fälle muss ich das Recht zu Zurückweisung haben. Darüber sollten wir in CDU und CSU diskutieren, gemeinsam und mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung. Es geht nicht um ein Bundesland, es geht um den Zusammenhalt in Deutschland und Europa.