Interview in der FAZ

Ampel ist besessen davon, die Gesellschaft zu verändern

Frage: Herr Blume, die CSU liegt in Bayern im Vergleich zum Vorjahr 12 Prozentpunkte schlechter, bei 36 Prozent. Was muss passieren, damit Sie Volkspartei bleiben?

Markus Blume: Der Trend zeigt für die CSU seit der Bundestagswahl klar nach oben. Wir liegen mehr als zehn Prozentpunkte über dem Bundesschnitt, sind aber immer auch an den Bundestrend gekoppelt. Zudem ist Markus Söder der beliebteste Politiker in Bayern. Aber wir müssen uns als Volkspartei immer wieder neu erfinden. Erstens: Wir müssen alle bürgerlich Denkenden politisch beheimaten und dazu Konfliktlinien überwinden. Zweitens: Wir werden unsere Partei noch mehr für neue Gruppen öffnen. Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland bestintegriert sind, sollen ganz selbstverständlich auch und gerade bei uns dabei sein. Drittens werden wir die Partei zu einer digitalen Volkspartei machen, zu einer digitalen Plattform für bürgerliche Politik.

Frage: Die CDU hat eine ausführliche Analyse ihrer Wahlniederlage veröffentlicht. Wo bleibt Ihre?

Markus Blume: Wir haben die beste Analyse, die es gibt: unsere Basistour, die der Parteivorsitzende und ich machen. Unsere Basis ist unser Seismograf. Es gibt dort den übergroßen Wunsch nach CSU pur, den werden wir einlösen, auch weil wir nicht mehr in den Fesseln der Kompromissfindung in Berlin gefangen sind. Gleichzeitig wissen unsere Mitglieder, dass wir bei Wahlen nicht nur sie ansprechen können.

Frage: In der CDU-Wahlanalyse wird auch auf die wenig produktiven Sticheleien der CSU gegenüber der großen Schwester hingewiesen, etwa auf die von Ihnen mitverantworteten Bemühungen, online-Mitglieder auch im CDU-Gebiet zu werben.

Markus Blume: Unsere Kampagne war nie konfrontativ angelegt – immerhin war der CDU-Generalsekretär unser erstes Online-Mitglied. Wir freuen uns über den Zuspruch aus dem gesamten Bundesgebiet. Man muss Parteiarbeit und Mitgliedschaften modern denken.

Frage: Durchaus konfrontativ angelegt waren ironische Aussagen von Ihnen und dem Parteichef im letzten Jahr, die darauf hinausliefen, dass Merz ein Mann von vorgestern sei.

Markus Blume: Jetzt übertreiben Sie aber. Entscheidend ist: Wir sind uns mit Friedrich Merz und der CDU-Führung in den wesentlichen Punkten einig und werden entschlossen zusammenarbeiten.

Frage: Merz hat jüngst gesagt, er sei nicht der konservative Knochen, als der er von manchen dargestellt wurde. Teilen Sie seine Selbsteinschätzung?

Markus Blume: Ich bin überzeugt, Friedrich Merz wird der CDU guttun. Es gibt eine Sehnsucht nach Profil und nach Geschlossenheit, auch mit der CSU. Mit dem CDU-Parteitag ist ein Ruck durch die Union gegangen. Dass Ralph Brinkhaus nun Friedrich Merz für den Fraktionsvorsitz vorschlägt, ist äußerst respektabel. Er stellt sich damit in den Dienst einer maximal entschlossenen Union.

Frage: Weiß die CSU denn noch, was CSU pur wäre? Vor einem guten halben Jahr sagten Sie, die Union solle die Finger lassen von Identitätsthemen wie Gendern. Nun wird das ganz offensiv gespielt. Sinneswandel oder Hilflosigkeit?

Markus Blume: Weder noch. Es ist vor allem eine Antwort auf die neue Ampel-Regierung, die außenpolitisch und bei der Corona-Bekämpfung orientierungslos ist und finanzpolitisch mit einem 60-Milliarden-Schuldenhaushalt einen desaströsen Start hingelegt hat. Gleichzeitig ist sie davon besessen, die Gesellschaft von Grund auf zu verändern, ob das nun die Cannabis-Freigabe betrifft, die Ablösung der Familie durch Mehr-Eltern-Konstellationen oder Vorstöße zum Gendern. Das alles wollen die Menschen nicht.

Frage: Sie sagten, die Bundesregierung sei außenpolitisch orientierungslos. Gilt das nicht auch für die CSU? Während der Parteichef an Nord Stream 2 festhalten will, hat es Parteivize Manfred Weber zur Disposition gestellt.

Markus Blume: Ich unterstütze Markus Söder: Wir müssen unmissverständliche Botschaften senden, aber eben auch im Dialog bleiben. Beides vermisse ich von der Bundesregierung. Angela Merkel hätte in dieser Situation pausenlos telefoniert, von Olaf Scholz hört man gar nichts. Wenn die Verteidigungsministerin sagt, man schicke 5000 Helme in die Ukraine, dann fragt man sich entgeistert, was kommt als nächstes? 200 Lastenfahrräder?

Frage: Auch Söders Aussagen zu Russland haben manche entgeistert. Stehen Sie zu seiner eher beschwichtigenden Position oder neigen Sie zu der härteren Webers?

Markus Blume: Markus Söder hat doch das Entscheidende gesagt: Niemand will einen Krieg in Europa. Oberstes Ziel muss sein, Eskalation zu vermeiden und Frieden zu sichern.

Frage: Ehemals führende CSU-Leute wie Strauß, Gauweiler oder Stoiber waren Russland zugeneigt. Sehen Sie sich in dieser Tradition?

Markus Blume: Die Tatsache, dass die CSU seit jeher ein eigenes außenpolitisches Profil vertritt, war immer zum Wohle der ganzen Republik. Strauß hatte damit einen maßgeblichen Anteil an der Deutschen Einheit.

Frage: Früher war die CSU eine Partei, die ihre Leute auch bei krassen Verfehlungen verteidigt hat. In der Masken-Affäre um Alfred Sauter war das anders. Da hat man sich im Zeichen einer „neuen CSU“ maximal von ihm distanziert. Nun hat ein Gericht entschieden, dass seine Maskendeals zumindest nicht strafbar waren. Wird die neue CSU Sauter rehabilitieren?

Markus Blume: Das ist keine Frage von alter und neuer CSU. Es geht darum, was richtig ist. Etwas mag am Ende einer rechtlichen Überprüfung standhalten, aber es bleibt doch politisch und vor allem moralisch verwerflich.

Frage: Wenn man Moral über Recht stellt, öffnet man dann nicht der Willkür Tür und Tor?

Markus Blume: Ich möchte Ihren Kommentar lesen, wenn wir sagen: „War rechtlich doch alles in Ordnung. Wir sehen kein Problem.“ Doch, es ist ein Problem, wenn sich jemand an der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg bereichert!

Frage: Auch die katholische Kirche ist moralisch diskreditiert. Wie sehr leidet die C-Partei CSU unter den Zuständen bei ihrem einstigen Bündnispartner?

Markus Blume: Wir leiden sehr, und zwar mit den Opfern des Missbrauchs und ihren Familien. Dass die Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht kommt, dass die Aufarbeitung viel zu lang dauert, das macht fassungslos. Nicht der Glaube ist morsch, nicht die christlichen Werte und nicht das Engagement der vielen Ehrenamtlichen. Aber die Institution Kirche hat gewaltigen Aufklärungs- und Erneuerungsbedarf. Ich kann nur jedem Verantwortungsträger dort wünschen, dass man die Zeichen der Zeit erkennt und daraus die richtigen Schlüsse zieht.

Frage: Welche?

Markus Blume: Da möchte ich mich in protestantischer Zurückhaltung üben. Aber es ist fünf vor Zwölf.