Nachhaltiges Finanzwesen: Stabilitätsorientierte Finanzmarktregulierung

Beschluss des Landesvorstands der Mittelstands-Union

vom 19. Juli 2019 in Ansbach

 

Positionspapier

„Nachhaltiges Finanzwesen: Stabilitätsorientierte Finanzmarktregulierung beibehalten und Ökobürokratie vermeiden“

 

Die EU-Kommission will den ökologischen und sozialen Wandel der europäischen Wirtschaft mithilfe eines „nachhaltigen Finanzwesens“ vorantreiben. Um mehr Geld in nachhaltige Zwecke wie den Klimaschutz zu lenken, sollen sich Investitionsentscheidungen künftig an ökologischen und sozialen Aspekten sowie an Fragen der guten Unternehmensführung (sogenannte ESG-Kriterien: Environmental, Social and Governance) orientieren. Dieses Vorhaben ist ein tiefgehender Eingriff in das Banken- und Finanzsystem mit strukturellen Folgen für Realwirtschaft und Gesellschaft. Die risikoorientierte Banken- und Finanzaufsicht wird für politische Zwecke instrumentalisiert. Das birgt die Gefahr von falschen Steuerungsimpulsen. Zudem drohen unverhältnismäßige bürokratische Belastungen für die mittelständische Wirtschaft, Privatanleger und kleinere Banken. Aus Sicht des Landesvorstands der Mittelstands-Union müssen dabei vor allem die folgenden Aspekte betrachtet werden:

 

Risikoorientierten Regulierungsansatz bewahren

Unsere Forderungen:

  • Risikoorientierte Regulierung und Aufsicht beibehalten
  • Zusätzliche regulatorische Vorgaben zur Steuerung von Nachhaltigkeitsrisiken hinterfragen

Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität des Finanzsystems sind die Richtschnur der Regulierung. Aufsichtliche Anforderungen an Banken orientieren sich stets am Risiko einer Anlage. Eine pauschale Begünstigung klimafreundlicher beziehungsweise „grüner“ Anleihen oder Kredite bei der Eigenkapitalunterlegung (sogenannter Green Supporting Factor) wäre hingegen eine politisch motivierte Instrumentalisierung der Eigenkapitalvorgaben, die nicht zwangsläufig dem zugrunde liegenden Risiko der Anlage entspricht. Eine regulatorische Bevorzugung „grüner“ Anlagen setzt falsche Steuerungsimpulse und kann zu einer Fehlallokation von Kapital in Anlageklassen mit unklarem Risikoprofil führen. Die alternativ diskutierte pauschale Eigenkapitalerhöhung für klimaschädliche beziehungsweise „braune“ Investitionen durch einen „Brown Penalising Factor“ ist ebenso wenig sinnvoll. Genauso wie eine Bevorzugung „grüner“ Investments kann eine Benachteiligung „brauner“ Anlagen zu Fehlallokationen führen.

Nachhaltigkeitsrisiken richtig steuern. Nach dem Willen der EU-Gesetzgeber sollen Banken ESG-Risiken verstärkt in ihren Anlage- und Kreditentscheidungen berücksichtigen. So könnte die EU-Bankenaufsichtsbehörde entsprechende Vorgaben an die nationalen Aufseher machen und den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) anpassen. Bei der Kreditvergabe oder Anlage bewerten Banken schon heute mit einem umfassenden Risikomanagement alle wesentlichen Markt- und Ausfallrisiken. Dazu gehören auch ESG-bezogene Risiken. Weitergehende Anforderungen sind nicht nötig. Sie würden insbesondere kleinere Banken übermäßig belasten, ohne die Stabilität des Bankensystems maßgeblich zu verbessern.

 

Strukturpolitik durch Nachhaltigkeit vermeiden

Unsere Forderungen:

  • Nachhaltigkeitstaxonomie mit Blick auf betroffene Unternehmen und realwirtschaftliche Prozesse ausgestalten
  • Zusätzliche Bürokratie durch neue Berichtspflichten für KMU vermeiden

Die Nachhaltigkeitstaxonomie greift zu kurz. EU-weit gibt es kein objektives und einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit. Die EU-Kommission hat deshalb eine gemeinsame Definition von nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten vorgeschlagen („Taxonomie“). Bei richtiger Ausgestaltung kann die Taxonomie die Entwicklung und den Vertrieb nachhaltiger Finanzprodukte unterstützen, indem sie gemeinsame Mindeststandards definiert. Die Klassifizierung darf aber nicht Unternehmen oder Branchen benachteiligen, die keinen Nachhaltigkeitsnachweis erbringen können oder wollen. Eine Schwarz-Weiß-Einteilung der Wirtschaft in klimafreundliche („grüne“) und klimaschädliche („braune“) Wirtschaftstätigkeiten wird der Komplexität wirtschaftlicher Prozesse nicht gerecht und kann die Finanzierung der betroffenen Unternehmen durch Banken oder am Kapitalmarkt deutlich erschweren. Das schadet Wachstum und Beschäftigung in Europa.

Die Steuerung von Nachhaltigkeitsrisiken bedeutet zusätzliche Bürokratie der KMU. Grundlage für die Bewertung der ESG-Risiken sind umfassende Daten zur ökologischen und sozialen Performance von Unternehmen. Die Vorschläge für ein nachhaltiges Finanzwesen sehen daher vor, dass die Leitlinien zu nicht-finanziellen Berichtspflichten von Unternehmen massiv ausgeweitet werden. Von dieser Berichtspflicht wären nicht nur große Unternehmen betroffen, sondern wegen des Kaskadeneffekts auch KMU, die als Zulieferbetriebe tätig sind. Zusätzliche Berichtspflichten würden die bürokratische Belastung der KMU massiv erhöhen – ohne Mehrwert für den Klima- und Umweltschutz. Deshalb lehnt der MU-Landesvorstand verpflichtende zusätzliche Inhalte im Jahresabschluss beziehungsweise Geschäftsbericht ab. Ziel muss es sein, Nachweisanforderungen für Unternehmen jeder Größe beherrschbar zu halten.

 

Kundenberatung nicht durch Nachhaltigkeit überfrachten

Unsere Forderung:

  • Anlageberatung vereinfachen statt neue Bürokratie durch verpflichtende Nachhaltigkeitsabfrage

Eine verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitsaspekten überfrachtet die Anlageberatung. Privatanleger leiden schon heute unter einer Vielzahl an bürokratischen Vorschriften in der Anlageberatung, die sich negativ auf Sparverhalten und Altersvorsorge auswirken. Eine verpflichtende Abfrage nach Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden würde die Informationsflut weiter erhöhen und den Beratungsprozess verkomplizieren. Dabei erhalten Kunden schon längst eine umfassende Beratung zu nachhaltigen Geldanlagen und eine Vielzahl an dazu passenden Produkten. Der Kunde entscheidet eigenverantwortlich und selbstbestimmt, welches Finanzprodukt er möchte. Die Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten – und nicht die gesetzlichen Vorgaben – sollten das Angebot in der Beratung bestimmen.