Ortsverband Ottensoos

Ehrenmal am Neuen Friedhof

Bürgermeister Klaus Falk zum Volkstrauertag

Foto: Manfred Huth

Der Volkstrauertag möchte uns Bürger und Bürgerinnen zum Innehalten bewegen, nach der Formel: „Erinnern – gedenken – trauern - mahnen“.

Ich freue mich und danke Ihnen, dass Sie gekommen sind und sich mit mir an unserer Gedenkfeier darauf einlassen wollen. Ich begrüße Sie dazu sehr herzlich.

Beginnen wir also mit dem Erinnern:

Ein Beispiel dafür ist das im II. Weltkrieg als „Kriegswende“ zu bezeichnende Ereignis, das ich schon wiederholt umrissen habe:

Es ist heuer 75 Jahre her, da verbanden die Menschen den Namen einer Stadt in Russland mit Tod und Leid: Stalingrad: Am 22. November 1942 schloss sich der Ring der Roten Armee um die 6. Armee unter General Paulus. 300.000 (deutsche, italienische, ungarische und rumänische) Soldaten wurden eingeschlossen.

Am 02. Februar 1943 ist dort alles zu Ende. Aus den Gräben und Trümmern gehen 100.000 Soldaten der 6. Armee in die Gefangenschaft, die anderen 200.000 sind tot oder vermisst.

Von diesen 100.000 kommen Jahre später nur rund 6.000 wieder nach Hause: Gezeichnet und traumatisiert für den Rest ihres Lebens.

Der Volkstrauertag mag uns an solche Geschehnisse erinnern, wie wohl wir die Zahlen an Menschlichen Schicksalen in unserer Vorstellung ja gar nicht fassen können.

Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupery, hat einmal gesagt: „Hunderttausend Tote, das ist Statistik, aber einer, dem man nahe stand, der fortgeht und nicht wieder kommt, das tut weh!“

Um nun einen Eindruck zu gewinnen, in welchen Massen gestorben wurde, kann man nur empfehlen, einmal einen Soldatenfriedhof zu besuchen. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge leistet übrigens wichtige Arbeit, zum einen weil er einen Ort der Trauermöglichkeit für die Hinterbliebenen schafft. Zum anderen gelingt es auch immer wieder, junge Leute, Schulklassen, zur Pflege der Friedhöfe und Gräber zu gewinnen. Sie können dort Eindrücke von dem Grauen der Vergangenheit gewinnen.

Obwohl auf einem Soldatenfriedhof „nur“ einige Hundert bis einige 1000 Opfer ruhen, die oft sogar namentlich bekannt sind, bleibt eine gewisse Anonymität spürbar, Statistik eben.

Anschaulicher wird das, wenn wir bekannte Namen von Gefallenen und Vermissten aus Ottensoos, Rüblanden und Weigenhofen auf den Gedenktafeln hier im Ehrenmal lesen. Wir kennen die Familiennamen, es sind auch Angehörige unserer Familien darunter. 

Ihrer und den zahllosen anderen Opfern wollen wir Gedenken:

Totengedenken, offizieller Text:

Wir gedenken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren oder seither vermisst sind.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die im Zuge der Teilung Deutschlands und Europas ihr Leben verloren.

Das Erinnern und das Gedenken macht uns betroffen, deshalb wollen wir auch Trauern:

(Mit der Fortsetzung des offiziellen Totengedenkens:)

Wir trauern

Um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,

um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,

um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräften, die in Ausübung ihres Dienstes im Auslandseinsatz ihr Leben lassen mussten.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen, um die Toten, und teilen ihren Schmerz.

Dieses offizielle Totengedenken schließt mit dem Satz:

Doch unser Leben gilt der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und auf Frieden in der Welt.

Das lässt uns aufhorchen, da gehen die Köpfe wieder hoch:

„… Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen…“?

Haben wir die wirklich, diese Hoffnung?

Vor einem Jahr standen wir hier, haben uns erinnert, der Opfer gedacht und getrauert. Damals lag die Präsidentschaftswahl in den USA gerade ein paar Tage zurück, wir wussten: Der Populist Donald Trump wird der nächste Präsident, aber wenn er erst die Regierungsverantwortung übernimmt, wird er sich schon bessern müssen, so dachten wir. Innenpolitisch hat er mittlerweile durchaus zurückstecken müssen, aber außenpolitisch ist er aus politisch-diplomatischer Sicht ein Chaot, dem ein Verantwortungsbewusstsein für den Weltfrieden kaum nachgesagt werden kann.

Dies zeigt sich im Umgang Trumps mit dem nordkoreanischen „Raketenmann“/Diktator Kim Jong Un und wie beide sich darin gefallen, dem anderen zu drohen und mit Kriegsrethorik zu übertrumpfen.

Es zeigt sich auch darin dass Trump das mühselig ausgehandelte Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufkündigen möchte.

Was war noch so alles seit letztem Volkstrauertag, in gebotener Kürze:

Der Türkei ist der Rechtsstaat mittlerweile gänzlich abhanden gekommen.

Myanmar: Wir kennen die schrecklichen Bilder mit in Brand gesteckten Dörfern, wo eine ganze Volksgruppe, die Rohyngas, getötet, verfolgt, und in die Flucht nach Bangladesch getrieben werden. Bilder von unvorstellbarem Elend.

Wenn wir, als grenzenlose Optimisten, letztes Jahr noch Hoffnung hatten, haben wir sie angesichts dieser Entwicklungen heute, jetzt noch?

Oder lautet unsere persönliche Formel, unsere Haltung für den Volkstrauertag nicht mittlerweile:

Erinnern, gedenken, trauern und resignieren?

Oder die vollständige Ausblendung dieses Tages?

Das dürfen wir nicht zulassen! Deshalb gehört zum Volkstrauertag nach dem erinnern, gedenken, trauern auch das Mahnen:

Ein Slawisches Sprichwort sagt:

„Es sind die Lebenden,

die den Toten die Augen schließen.

Es sind die Toten,

die den Lebenden die Augen öffnen.“

Das ist eine glasklare Mahnung an die Lebenden, an uns, die Augen zu öffnen und dann auch im Rahmen unserer Möglichkeiten zu handeln:

Wir kennen das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24.September 2017, das unumwunden als ein Erdbeben in der Parteienlandschaft gewertet werden kann.

Da zieht erstmals eine Partei in den Bundestag ein, die durchaus als rechtspopulistisch bezeichnet werden kann, am rechten Rand des Parteienspektrums: Die AfD holt 13 % der Stimmen und wird drittstärkste Partei. Auch in Ottensoos haben immerhin 8 % AfD gewählt!

Nun wissen wir auch, dass viele, die AfD gewählt haben, dies aus Protest getan haben, weil sie die Erklärungen der etablierten Parteien insbesondere die der Bundeskanzlerin zur Flüchtlingspolitik als unzureichend erachtet haben und damit nicht zufrieden waren, oder den in den Wahlprogrammen getätigten Aussagen einfach keinen Glauben zu schenken vermochten. Das sollten unsere etablierten Parteien ernst nehmen.

Diese AfD aus Sicht dieser etablierten Parteien auszugrenzen war und ist m. A. ein Fehler. Wenn ein Alexander Gauland postuliert „Wir werden sie jagen. Wir werden uns unser Land und unser Volk zurück holen.“

Dann dürfen wir uns nicht verstört oder gar beleidigt in unser Schneckenhaus zurückziehen, sondern klar entgegenhalten: „Das Land gehört nicht der AfD, und das Volk erst recht nicht!“

Für diese Demokratie ist die AfD eine ernste Gefahr, weil sie den Begriff „Volkswille“ zur Waffe machen möchte: Wer anderer Ethnie, Religion, anderer Partei oder nur anderer Meinung ist, kann zum Volksfeind erklärt werden. In diesem Sinne ist die AfD durch und durch autoritär und damit gefährlich für Parlamentarismus und Pluralismus in unserer Gesellschaft.

Aber nochmal, sie auszugrenzen und sie damit zum Schmuddelkind stilisieren zu wollen, wird nicht funktionieren. Mit denen muss man sich inhaltlich auseinandersetzen und fragen: Was soll das, wie löst ihr konkret die vielen Aufgaben und Probleme, entwickelt bitte Konzepte für unser Land und macht konstruktive Lösungsvorschläge.

Das ist Aufgabe der Politik und des Staates, aber nicht nur. Auch wir sind gehalten im Rahmen unserer Möglichkeiten, im Bekannten- und Freundeskreis, wenn die Sprache darauf kommt, uns inhaltlich von diesen kruden Sprüchen abzugrenzen.

Dies gilt übrigens auch für den linken Rand der Politik, der Gesellschaft. Pluralität ja, Multikulti ohne Spielregeln und die völlige gesellschaftliche Beliebigkeit, das kann nicht gut gehen. Hier sind uns die Bilder aus Hamburg zum G20-Gipfel mit zum Teil höchst professionell organisierten schwerstkriminellen Taten ebenfalls noch im Gedächtnis.

Das Wissen um die Geschichte, die Informationen über unheilvolles Geschehen auch in der Gegenwart verpflichten uns, die Stimme zu erheben gegen Angriffe auf unsere Demokratie, die Verletzungen der Menschenrechte.

Der Volkstrauertag ist dafür besonders geeignet. Er ist nicht mehr nur der Tag, an dem Menschen erinnernd und trauernd zurückblicken. Es ist ein Tag, der uns erinnert, dass der Frieden nicht selbstverständlich ist – und dass die Arbeit für den Frieden keineswegs ein Auftrag allein an die Staat und Politik sein kann.

Lassen Sie uns aus diesem Tag etwas machen!

Die Toten verpflichten die Lebenden.