Artikel vom 24.06.2019
Pressemitteilung
Forum Organspende

FORUM ORGANSPENDE des Gesundheits- und Pflegepolitischen Arbeitskreises (GPA) der CSU Amberg-Sulzbach im CSU Bezirksverband Oberpfalz
Am 15. Mai 2019 hatte der GPA im CSU Kreisverband Amberg-Sulzbach zu einer Vortragsveranstaltung mit Podiumsdiskussion zum Thema Organspende in den Landgasthof Erras nach Fichtenhof eingeladen.
Moderiert vom zugleich stellvertretenden GPA Bezirksvorsitzenden der CSU Oberpfalz, dem Anästhesisten und Leitenden Notarzt Rainer M. Weis aus Rieden,
wurden nach einem Grußwort der stellvertretenden CSU Kreisvorsitzenden Monika Breunig
zunächst die Referenten Xaver Bayer (Koordinator der DSO / Deutschen Stiftung Organtransplantation, Region Bayern) und Pfarrer Dr. Christoph Seidl (Leiter der Seelsorge für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen der Diözese Regensburg) vorgestellt.
Die Veranstaltung solle dazu dienen, sich neben den medizinischen und rechtlichen Aspekten der Organspende auch über die ethischen, menschlichen und seelsorgerischen Herausforderungen für alle Beteiligten klar zu werden.
Zum Einstieg wurde anhand von
Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation
gezeigt, das Deutschland schon seit Jahren das europaweite Schlusslicht hinsichtlich der Zahl von Organspenden bildet: mit 9,7 Spendern lagen wir 2017 unmittelbar hinter den Niederlanden mit 14,4 Spendern und weit hinter Spanien mit 46,9 Spendern jeweils pro 1 Million Einwohner. Mit insgesamt 796 Organspendern war 2017 in Deutschland zugleich die niedrigste Spenderanzahl seit 2009 erreicht und nur 63 % der Wartelisten-Patienten wurden transplantiert.
Im Jahr 2018 standen 955 tatsächliche Organspender mit 3133 entnommenen Spenderorganen einer Zahl von 9400 Patienten auf der Warteliste gegenüber. Davon sterben jährlich 2000 Patienten, für die ein dringend benötigtes Spenderorgan nicht rechtzeitig vermittelt werden kann.
Als Reaktionen der Politik wurde am 14. Februar 2019 im Bundestag das „Zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes“ verabschiedet, um die organisatorischen, medizinischen und finanziellen Bedingungen rund um die Organspende zu verbessern. Die Frage einer Abkehr von der aktuellen „Entscheidungslösung“ wurde zunächst zurückgestellt, inzwischen liegen dazu zwei überparteiliche Gesetzentwürfe vor.
Angelehnt an eine aktuelle Mitgliederbefragung durch die CSU-Landesleitung wurde auch im Publikum eine Eingangsbefragung zu vorhandenen Patientenverfügungen, der Organspende-Bereitschaft und möglichen Alternativen der „Entscheidungslösung“ durchgeführt.
Der anschließende Vortrag von Xaver Bayer hatte über
Medizinische und rechtliche Voraussetzungen einer Organspende sowie die Rolle der Deutschen Gesellschaft für Organtransplantation (DSO)
und seine eigene Tätigkeit als Koordinator informiert.
Krankenhäuser melden mögliche Organspender an die DSO, die unterstützt bei der Diagnostik und koordiniert eine Organentnahme durch spezialisierte Ärzteteams. Die Organvermittlung (nach Gewebeverträglichkeit und Dringlichkeit) erfolgt europaweit bei EUROTRANSPLANT. Die Transplantation der Spenderorgane auf den Empfänger wird an spezialisierten Zentren durchgeführt (Uniklinik Regensburg: Leber, Niere).
Im ersten Transplantationsgesetz 1997 sind neben dem generellen Verbot von Organhandel die Trennung von Organentnahme, Vermittlung und Transplantation, die Todesfeststellung nach strengen medizinischen Kriterien und eine „Zustimmungslösung“ (Einwilligung ab 16 Jahren, Widerspruch ab 14 Jahren) geregelt.
Mit dem ersten Änderungsgesetz 2012 wurden durch eine sogenannte „Entscheidungslösung“ die Krankenkassen alle 2 Jahre zur Aufklärung und Befragung ihrer Versicherten über 16 Jahren zur persönlichen Organspende-Bereitschaft verpflichtet, allerdings ohne Antwort- oder Entscheidungszwang und bis heute ohne eine zunächst auf der elektronischen Gesundheitskarte vorgesehene Speichermöglichkeit einer möglichen Zustimmung oder Ablehnung.
Als Beispiele abweichender Regelungen wurde die „Widerspruchslösung“ (wer keine schriftliche Ablehnung bei sich trägt oder entsprechend registriert ist, gilt als Organspender) in Österreich, Spanien, den BeNeLux-Länder, der Slowakei, Slowenien und Ungarn und die “Informationslösung“ (ohne schriftliche Ablehnung müssen etwaige Angehörige gehört werden und haben Einspruchsrecht) in Frankreich, Lichtenstein, Norwegen, Schweden und Zypern genannt.
Laut Xaver Bayer ist nahezu jeder hirntote Patient auf der Intensivstation ein potenzieller Organspender, ohne Einschränkungen aufgrund des Alters oder der Todesursache. Ein grundsätzlicher Ausschluss besteht nur bei HIV-Infektion (AIDS) oder einer Krebserkrankung.
Die typische Entwicklung (Gehirnschwellung innerhalb des knöchernen Schädels führt zum Durchblutungsstopp und einer Einklemmung) und die Anzeichen eines Hirntodes wurden beschrieben. Im Angehörigengespräch gilt es häufig, den anderweitig nicht dokumentierten, mutmaßlichen Willen des Betroffenen herauszufinden. Abschließend wurden die wichtigsten Zusatzuntersuchungen genannt, mit denen die Funktion der Spenderorgane abgeschätzt werden kann.
Anhand einer Grafik der DSO über die „Entscheidungen zur Organspende in Bayern 2017“ hatte Rainer M. Weis als Moderator auf den folgenden Vortrag zu ethischen, menschlichen und seelsorgerischen Herausforderungen für alle Beteiligten übergeleitet:
Bei 191 Entscheidungen lagen in keinem der 36 Fälle fehlender Zustimmung in eine Organspende schriftliche Hinweise des Verstorbenen vergleichbar einer Patientenverfügung vor (47 % mündlicher Wille, 22 % vermuteter Wille, 30 % Entscheidung durch die Angehörigen). Grundlage für die 155 gegebenen Zustimmungen zur Organspende war nur bei knapp jedem Fünften der schriftliche Wille (18,7% „Organspenderausweis“, 22 % mündlicher Wille, 45 % vermuteter Wille und 13 % Entscheidung durch die Angehörigen).
Das Thema des Vortrages von Pfarrer Dr. Christoph Seidl aus dem Bistum Regensburg mit der Überschrift
Organspende – mehr als Almosen
hat am Beispiel des Zukunftsromanes „Corpus Delicti - ein Prozess“ (2009) der Juristin Juli Zeh die Problematik einer zu starken Einmischung des Staates oder der Gesellschaft in den Freiheitsraum des Einzelnen aufgegriffen: weder dürfe eine Gesellschaft den Einzelnen im Dienst einer „höheren Vernunft“ seiner Persönlichkeit (seines Schmerzes; übertragen auf unser Thema: seiner Organe) berauben, noch dürfe eine Organspende, die aus Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit unterbleibt, mit dem Freiheitsrecht des Einzelnen verwechselt werden.
Bei einer erweiterten Widerspruchslösung stehe einer vordergründigen psychischen Entlastung der Angehörigen eine Rechtsfiktion entgegen, die unserem medizinethischen Denken fremd sei und in dem jede Maßnahme der persönlichen Aufklärung und Einwilligung bedarf - bis hin zur Unterschrift für den Obstkorb im Komfortzimmer des Wahlleistungspatienten.
Dem Recht auf Selbstbestimmung aller steht ein Anspruch auf ausreichende medizinische Versorgung aller entgegen - aber auch auf das „Geschenk“ eines Spenderorganes ?
Dabei profitiert Deutschland wegen der europaweiten Vergabe und Verteilung vom größeren Spenderaufkommen seiner Nachbarn – möglicherweise auch wegen deren Widerspruchslösung.
Darf der Anspruch des Lebenden höher gewertet werden als der Schutz der Würde Verstorbener ?
Letztlich wird eine hohe psychische Belastung der Angehörigen bleiben, ein möglicherweise gestörtes Vertrauen in das Transplantationswesen (2012: kriminelle Einzelfälle „manipulierter Befunde“, um Patienten der Warteliste eine höhere Dringlichkeit zu verschaffen) müsse wiederhergestellt werden.
Bei einem gesteigerten Vertrauen und verbesserten organisatorischen Bedingungen könnte das bestehende Verfahren ebenfalls die Spenderzahlen erhöhen.
Als Fazit bleibe, neben einem Zitat Hans Christian Andersens (aus: Der Reisekamerad) der Gedanke „Ohne das Ende verlöre das Leben seinen Sinn.“ und ein Ausspruch Mutter Theresas (1910 - 1997) „Das Leben ist eine Herausforderung, stelle Dich ihr !“.
Diskutiert wurde unter anderem: weil keiner für sich allein lebe, sondern immer - wie im Vortrag von Dr. Christoph Seidl angesprochen - stets im Austausch mit einer Gesellschaft und dabei auch selbst immer auf eine (Organ-)Spende angewiesen sein könnte, wäre mindestens eine Auseinandersetzung mit dem Thema sicherlich zumutbar. Der DSO ist es nach Auskunft von Xaver Bayer wichtig, entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung, den Willen des Verstorbenen zu erfassen und umzusetzen. Und neben den nötigen Angehörigengesprächen im Vorfeld der Organspende führt die DSO auch Veranstaltungen und Treffen für Angehörige ehemaliger Organspender durch.
Deren Erfahrungen brachte Nancy Weis in die Diskussion ein: ihre Mutter hatte über die Organspende nach einem plötzlichen Tod vor 3 Jahren fünf Menschen eine neue Lebensqualität schenken können.
Vom Gastgeber und Moderator Rainer M. Weis wurde nach der Diskussion klargestellt:
Nur wenn ein bereits Verstorbener die strengen Kriterien der Bundesärztekammer für einen Hirntod erfüllt (Irreversibler, d.h. unumkehrbarer Hirnfunktionsausfall )- meist nach einer schweren Hirnblutung, einer Schädel-Hirn-Verletzung oder einer Gehirnschädigung durch Sauerstoffmangel beispielsweise nach zu spät begonnener Herz-Lungen-Wiederbelebung) und wenn dessen Einwilligung zur Organspende bekannt ist (schriftlich , mündlich oder mutmaßlich), darf bisher in Deutschland eine Organentnahme zur Transplantation erfolgen.
Ist der (mutmaßliche) Wille eines Verstorbenen nicht bekannt, darf keine Organentnahme erfolgen.
Diesen Ausschluss müsse jede künftige Gesetzesänderung zwingend enthalten, um auch die Verstorbenen zu respektieren, die keinen Angehörigen haben um deren Willen zu vertreten. Auftrag des Politikers muss es in diesem Zusammenhang sein, in allen Gesetzen und Entscheidungen für die Wahrung der Rechte jedes Einzelnen zu sorgen.
Für die begrenzte Dauer der dafür notwendigen Untersuchungen und Vorbereitungen (12 bis 72 Stunden) wird ein verstorbener Organspender weiter auf einer Intensivstation stabilisiert und künstlich beatmet, um alle nicht geschädigten Organe bis zur Entnahme (Explantation) funktionsfähig zu erhalten.
Ist der Verstorbene kein Organspender, endet mit der Feststellung des unumkehrbaren Todes die Behandlung.
Eine Beschäftigung mit dem Thema Organspende und eine möglichst schriftliche und individualisierte Patientenverfügung zu Lebzeiten sind für jeden ratsam, der auch im Krankheitsfall und am Lebensende selbstbestimmt sein möchte und der seinen Angehörigen eine sonst nahezu unmögliche Entscheidung in einer belastenden Ausnahmesituation ersparen möchte.
Nachtrag: Alternative Gesetzesvorlagen
Dem überparteilichen „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz“ von Abgeordneten der CDU, CSU, SPD und Die Linke um Jens Spahn (CDU) und Dr. Karl Lauterbach (SPD) standen deutliche Vorbehalte entgegen.
Nach diesem Entwurf „()gilt jede Person als Organ- oder Gewebespender, es sei denn, es liegt ein zu Lebzeiten erklärter Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille vor. () Anders als bei der bisherigen Entscheidungslösung führt eine nicht abgegebene Erklärung dazu, dass eine Organ- oder Gewebeentnahme zulässig ist,()“. Nur der nächste Angehörige wäre demnach von dem für eine Organ- oder Gewebeentnahme verantwortlichen Arzt auch „(), nur darüber zu befragen, ob ihm ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille des möglichen Organ- oder Gewebespenders bekannt ist.()“ - mit einer Einschränkung:
„()Bei Personen, die nicht in der Lage sind, Wesen, Bedeutung und Tragweite () zu erkennen und ihren Willen danach auszurichten, ist eine Organ- oder Gewebeentnahme grundsätzlich unzulässig.()“.
Ein ebenfalls überparteilicher „Gegenentwurf“ von Abgeordneten der CDU, SPD, FDP und Die Linke um Annalena Baerbock (Die Grünen) sieht im Kern weiterhin eine (zustimmende oder ablehnende) Entscheidung vor und erfordert ebenfalls ein noch einzurichtendes, zentrales Spenderregister.