GPA-Bezirksverband Unterfranken

Ergebnisse und Highlights aus der GPA-Webex-Konferenz am 18.06.2021

Der Notarztdienst in Bayern in Not?

Wo liegen die Probleme? Wo die Lösungen?

Diskussion mit viel Expertise

 

Veranstalter: GPA-Bezirk Unterfranken (Reinhard Trageser, Dr.med. Peter Jung).

 

Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter. So mag es auch bei der unlängst erfolgten Einigung der Kostenträger mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns gewesen sein:

Rückwirkend zum 01.07.2021 wurde eine neue Honorarvereinbarung im Notarztdienst geschlossen werden.

Die Vorausgehende war zum 31.12.2020 ausgelaufen. Eine Einigung konnte lange nicht erzielt werden.

 

In dieser Gemengelage brachte der GPA in einer Webex-Konferenz am 18.06.2021 die einzelnen Akteure an einen virtuellen Tisch: unter der Moderation von Dr. Peter Jung, selbst aktiver Notarzt mit langjähriger Erfahrung und Mitglied im GPA-Landesvorstand, diskutierten, unter reger Teilnahme des virtuellen Publikums, folgende sechs Experten die brisante Thematik:

 

Dr.med. Stephan Prückner, geschäftsführender Direktor des INM (Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der LMU), München.

 

Dr.med. Michael Bayeff-Filloff, (Ärztlicher Landesbeauftragter Rettungsdienst, Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration), München.

 

Gökhan Katipoglu, Leiter CoC Notdienste der KVB (Kassenärztliche Vereinigung Bayern), München.

 

Dr.med. Thomas Jarausch, Vorsitzender der agbn e.V. (Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte), Würzburg.

 

Christian Bredl, Leiter der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Bayern. Stellvertretender Vorsitzender im GPA-Landesvorstand.

 

Bernhard Seidenath, MdL, Vorsitzender des GPA-Landesvorstandes. Vorsitzender des Landtags-Ausschusses für Gesundheit und Pflege.

 

Schnell wurde deutlich: es geht und ging nicht nur um’s Geld:

 

Herr Katipoglu von der KVB stellte fest: „Es gibt 229 NA-Standorte in Bayern. Besetzungsquote 97,9% bayernweit. Davon machen uns 52 Standorte Sorgen: 30 Standorte sind schlechter besetzt als 97,6%. Mit einer Tendenz, dass die Quote schlechter wird“.

Der Schlüsselsatz:

„31% der bayerischen Notärzte sind über 50 Jahre alt und übernehmen 53% der NA-Dienste“.

 

Dr. Thomas Jarausch (agbn) konstatierte: „Wir haben ein Nachwuchsproblem.

Die Wertschätzung der Arbeit drückt sich aber auch in Honorar aus. Wir sind in Bayern schlechter gestellt als in anderen Bundesländern. Die NA-Honorare sind hier auf den Stand von 2020 eingefroren und nicht angepasst worden. Aktuell gibt es noch keinen neuen Vertrag mit der KVB“.

Er weist aber auch auf folgende Effekte hin:

„Arbeitsbelastung in Praxis und Klinik steht einer (vernünftigen) Work-Life-Balance entgegen. Wir haben geänderte Strukturen: ein NA-Fahrer ist in den NA-Dienst eingeführt worden (was ja an sich zu begrüßen ist). Jedoch verlangen die Durchführenden (z. B. BRK, MHD, JUH, ASB) regelmäßig, dass der Notarzt während seines Dienstes auf der Wache zu sein hat.

So würde man gerade an den einsatzschwachen Standorten in der ländlich geprägten Region die Kollegen verlieren, die gerne Dienste übernehmen möchten, aber eben von zu Haus fahren wollten und nicht das ganze Wochenende auf der Rettungswache verbringen möchten.

Gerade in ländlich geprägten Standorten sollte es möglich sein, dass der Notarzt mit Fahrer von zu Hause aus fahren kann.

Viele Notärzte fühlen sich von der Politik und Körperschaften nicht mitgenommen und befürchten die Einführung eines Paramedic-Systems durch die Hintertür.

Nur ein (Not-)Arzt vor Ort kann entscheiden, einen Patienten auch einmal zu Hause zu lassen, wenn er sich vergewissert hat, dass eine stationäre Behandlung eben nicht notwendig ist.

Ein Notfallsanitätersystem wird notgedrungen jeden Patienten einer Klinik zuführen, auch wenn dies vielleicht gar nicht notwendig sein sollte.

 

Die Perspektive der Kostenträger vertrat nun

Christian Bredl:

„Ja, es ist richtig, die Verhandlungen [mit der KVB; Anm.d.Verf.] sind ins Stocken geraten“.

Er stellt fest: „Die Krankenkassen verschleppen keine Honorarverhandlungen.

Zumal ja die Bevölkerung den Notarztdienst sehr wertschätzt.“

Und gibt folgende Hintergrund-Informationen:

„Im Jahr 2020 hätten die Krankenkassen für den Notarztdienst 69,7 Mio € aufgewendet. (…)“

„Bei Verhandlungen am 02.02.2021 sei von Seiten der KVB festgestellt worden: die Bereitschaft der Ärzte sinke wegen der Vergütung. Deshalb seien die geforderten 22% eine absolut notwendige Forderung und wenn sich in diese Richtung sich nichts bewege, dann würden die Verhandlungen nicht weitergeführt.

Aus Krankenkassensicht seien dies horrende Forderungen für die Kassen! (..)“

„Generell jedoch bedarf es einer kompletten Neustrukturierung der Notfallversorgung, v.a. im Hinblick auf die Digitalisierung.

Die derzeitige Dreiteilung in Notarztdienst, KVB-Bereitschaftsdienst und Notfallversorgung in den Klinikambulanzen ist dringend reformbedürftig.

Dringend bedarf es der Einführung eines Tele-Notarztes. Dies wird von den Kassen unterstützt werden“.

 

Dr.med. Stephan Prückner, INM, führte aus wie folgt:

„Wir wissen nicht genau, was derzeit an den einzelnen NA-Standorten passiert. Der Notarztanteil aller Rettungseinsätze liege zwischen 50 und 60%. [Das Übrige versorgt der Rettungsdienst ohne Notarzt. Anm.d.Verf.]. Notärzte fahren allerdings zu oft zu minderschwerwiegenden Fällen raus.

Es ist geplant, dass das INM im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung eine Standortanalyse aller 229 Notarztstandorte in Bayern durchführt [Außenstandorte nicht mitgerechnet. Anm. d.Verf.].

Soweit sich aus der Untersuchung entsprechende Implikationen ergeben, ist angedacht, im Sinne einer besseren Effizienz NA-Standorte zusammenzulegen.

Dabei wird ausdrücklich nicht beabsichtigt, lediglich Notarztstandorte auszudünnen, sondern die notärztliche Versorgung der Bevölkerung zu verbessern.

Die NA-Besetzung ist regional schwierig. Die Gebiete sind gewachsen. Die Prüfung des IST-Zustandes ist im Gange; endgültige Ergebnisse noch offen.

Eingedenk, dass immer weniger niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sich am Notarztdienst beteiligen (können), sollte man da nicht generell den Kliniken die NA-Versorgung als Dienstaufgabe übertragen?

Allerdings ist die Dienstbelastung innerhalb der Kliniken (ebenfalls) gestiegen- Wer kann da überhaupt noch rausfahren?

Man überlegt, NA-Standorte zusammenzulegen.

 

Sollte man generell den Kliniken die NA-Versorgung als Dienstaufgabe übertragen?

-Allerdrings ist die Dienstbelastung innerhalb der Kliniken (ebenfalls) gestiegen- Wer kann da überhaupt noch rausfahren? Die Rekrutierung junger Kolleginnen und Kollegen ist kompliziert und wird durch die Coronapandemie nicht einfacher,

 

Ein reines „Paramedics“ / Notfallsanitätersystem wie in USA ist jedenfalls keine Option.

 

Denn: wer würde draußen dann noch Techniken wie Notfallsonographie, Lyse oder invasive Techniken durchführen?

 

Generell muss die Frage beantwortet werden:

Wie soll ein NA-System in Zukunft aussehen?

Welche Strukturen werden gebraucht?

Eines erscheint sicher zu sein: ein zukünftiges Notarztsystem wird ohne einen Tele-Notarzt nicht auskommen.

 

Dr.med. Michael Bayeff-Filloff, (Ärztlicher Landesbeauftragter Rettungsdienst, Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration), München, äußerte sich wie folgt:

„Selbstverständlich brauchen wir auch in Zukunft einen Notarzt vor Ort. Allerdings sind Kolleginnen und Kollegen schwerer zu motivieren im Notarztdienst tätig zu sein als früher; dies wird durch sehr viel Faktoren beeinflußt.

 

Notwendig ist jedoch eine bereits durch Dr. Prückner skizzierte „Simulation vor Ort“, ähnlich dem TRUST-Gutachten (Trend- und Struktur-Analyse für den Rettungsdienst in Bayern. [Anmerkung d. Verf.]), um die Dienstbelastung bzw. Auslastung der Notarztstandorte zu evaluieren.

 

Der Tele-Notarzt wird kein kontrollierender „Über-Notarzt“ sein. Diese/r ist prinzipiell als Entlastung gedacht. Nach wie vor ist die richtige Indikation für und das richtige Einsetzen eines Notarztes vor Ort von Bedeutung.

 

Und: es wird mehr Befugnisse für Notfallsanitäter geben (müssen)“.

 

Bernhard Seidenath, MdL, Vorsitzender des GPA-Landesvorstandes. Vorsitzender des Landtags-Ausschusses für Gesundheit und Pflege

Stellt folgende Fragen „als Arbeitsauftrag“ an die Mitwirkenden:

1.)       Wie sind die arbeitsrechtlichen Vorgaben zu ändern, damit auch junge Ärzte (wieder) die Weiterbildung zum Notarzt anstreben? Vielleicht liege es doch an der Vergütung wie das Beispiel der Impfärzte zeigt: „Impfärzte haben wir mehr als genug“.

2.)       Wie kann man jüngere Ärzte motivieren?

3.)       Wie kommt man zu einem tragbaren Ergebnis, dass auch ein NA-Dienst vom Zuhause des Notarztes möglich ist?

4.)       Wie kann bei diesen angestrebten Reformprozessen die Digitalisierung sinnvoll eingesetzt werden?

 

Zur Abschlussrunde wurden die Exerten aufgefordert, Wünsche zu äußern:

 

Christian Bredl beginnt:

„Seit 2014 gab es immer wieder Steigerungen und Anpassungen in der Notarztvergütung“.Er betont erneut, dass das gesamte Rettungsdienst- und Notfalldienstsystem reformiert werden muss.

„Die Einführung eines Telenotarztes in Bayern ist notwendig (…).

Wenn es durch die Überprüfung der NA-Standorte zu einer Reduzierung von 30 Standorten (von 229 Anm.d.Verf.) kommen sollte, dann entspräche dies einer Einsparung von 9 Mio €.

Die Qualität im NA-Dienst müsse verbessert werden. „Tele-Notärzte wären besser ausgebildet“.

Sein Fazit / Ausblick:

Um dem Anstieg und der Inanspruchnahme zu begegnen, ist EIN TEIL die Digitalisierung und der Tele-NA.

Eine Überprüfung der NA-Standorte zur Optimierung der Verteilung bei Schließung Einzelner.

Er wünscht eine umfassende Reform des „Notfall-Systems“ auf Bundesebene.

 

Dr.med. Thomas Jarausch wünscht, dass am 29.06.2021 ein konstruktives Ergebnis und eine faire Anpassung an bundesdeutsche Notarzt-Honorare resultiere.

„Lassen Sie uns Notärzte die Wertschätzung spüren“

„Lassen Sie uns merken, dass Sie die Notärzte wollen“.

 

Gökhan Katipoglu, wünscht, dass die Bedarfsanalyse der NA-Standorte zu einem fairen Ergebnis kommt.

Wünscht, dass der Telenotarzt zielgerichtet eingesetzt werde und eine Unterstützung des NA vor Ort darstelle.

 

Dr.med. Michael Bayeff-Filloff sagt: Die Bezahlung der NA sei sicher ein Hauptthema.

Er appelliert zu einem befriedigenden Abschluss der Verhandlungen am 29.6. FÜR BEIDE SEITEN!

Und er wünscht

-dass die NA-Ausbildung bezahlt wird.

-auch weiterhin professionelle Notärzte vor Ort

-wünscht und hält es für absolut notwendig, dass der Notarzt mit NEF-Fahrer kommt.

-erklärt, dass ein Notfall-Register eingeführt werden wird.

-Fragt, was dem Patienten draußen wirklich guttut.

Mittelfristig wird es zu Umstrukturierungen kommen, die NA-Standorte werden optimiert werden.

Man müsse attraktive Standorte schaffen.

 

Dr.med. Thomas Jarausch wirft ein:

„..das wird bestimmt zu lautstarken Protesten und Widerständen an den betroffenen Standorten führen…., das muss die Politik dann auf regionaler und Landesebene auch aushalten“.

 

Dr.med. Stephan Prückner wünscht eine Qualitätssicherung bzw. -Verbesserung durch die anstehenden Reformen.

Die Versorgung könne nur so verbessert werden

Reform des Rettungsdienstes /Notfalldienstes / Notarztdienstes ist notwendig.

Die isolierte Betrachtung einzelner Systeme sei nicht zielführend.

Fordert klare Vorgaben vom Bund.

 

Maria Wiedemann, stellvertretende Vorsitzende im GPA-Landesvorstand:

Sieht ePA [elektronische Patientenakte. Anm.d.Verf.] als wichtige Grundlage; „Daten könnten beim Notarzteinsatz vorab Informationen liefern“.

 

Der Moderator Dr.med. Peter Jung,

Wünscht, dass NA-Einsätze an Sa-, So- und Feiertagen sowie zur Nacht ebenfalls höher vergütet werden würden (denn dies ist zurzeit nicht so).

Er weist auf „verschobene Rahmenbedingungen hin mit zum Teil bizarren Folgen“, die dahin geführt haben, dass zum Beispiel die vorläufige Leichenschau (ganz zu schweigen von der endgültigen) höher zu vergüten sei (und zwar von den Angehörigen) als beispielsweise der Notarzteinsatz zur Reanimation.

Er äußert die Bitte: Mehr Signale durch Politik, Körperschaften und Institutionen senden, dass Notärzte gewünscht sind.

 

Bernhard Seidenath, schließt die Konferenz mit folgenden Worten:

Es sei viel in Bewegung und es werden viele Aspekte mitgenommen, v.a. die Ausbildung des NA und die Kommunikation der Wertschätzung.

Er wünscht, eine Steigerung der Attraktivität des Notarztdienstes.

Und er wünscht, Ergebnisse aus der Bedarfsanalyse [des INM] der NA-Standorte. Auf dass es dadurch auch zu einer Qualitätsverbesserung für alle kommen möge.

 

Ob es nun diese GPA-Webex-Konferenz war, oder das Wirken vieler anderer Beteiligter, es führte zu folgender Einigung der Kostenträger mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns:

 

Rückwirkend zum 01.07.2021 konnte mit den Kostenträgern eine neue Honorarvereinbarung im Notarztdienst geschlossen werden.

 

• Das neue Gesamtvolumen der NAD-Benutzungsentgelte beträgt 82 Mio € / anno. Dies entspricht der angestrebten Honorarsteigerung.

 

• Die neue Benutzungsentgeltvereinbarung gilt vom 01.07.2021 bis 31.12.2023.

 

• Die Grundbereitschaftspauschale steigt von 21,- auf 25,- €

 

• Neu eingeführt werden ein Nachtzuschlag (2,50 € / h), ein Wochenend- u. Feiertagszuschlag (5,00 € / h) und ein Zuschlag für hohe Feiertage (15,00 € / h)

 

• Die Grundeinsatzpauschale steigt pro Patient (1-3) von 83,- € auf 86,25 €.

 

In der Pressemitteilung 180/2021 vom 22.07.2021begrüßte

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann die Einigung zur neuen Notarztvergütung in Bayern – „Deutliche Erhöhung der Notarzthonorare würdigt hohes Engagement und verlässlichen Bereitschaftsdienst der Notärzte“.

 

Dass es jedoch weitere Veränderungen geben wird, sollte jedem der Akteure klar sein:

  • Notarztstandorte werden evaluiert und wo sinnvoll, zusammengelegt werden.
  • Es muss auch weiterhin möglich sein, dass ein Notarzt von zu Hause ausfahren kann, und nicht zum Dienst auf einer Rettungswache verpflichtet wird.
  • Der Telenotarzt wird bayernweit eingeführt werden, die Rettungstransportwagen sind entsprechend auszurüsten, Funklöcher müssen minimiert werden.
  • Die Notfallsanitäter werden zukünftig mehr Befugnisse haben.
  • Wie die Notarztrekrutierung und – Weiterbildung zukünftig zu gestalten sein wird, bleibt allerdings noch offen.

 

Und: wie unnötigerweise die Dinge verkompliziert werden, zeigte die Unterstellung der Deutschen Rentenversicherung, die Tätigkeit im Notarztdienst in Bayern sei eine „verdeckte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit“.

Erst vor kurzem konnte dieses Ansinnen der Rentenversicherung vor dem Landessozialgericht München abgewehrt werden.

 

Wir werden also weiterhin wachsam bleiben. Im GPA sowie im Notarztdienst.

Dr. Christian Marcus, Regionaler Notarztsprecher und Regionalvertreter Notärzte der KVB in Unterfranken formulierte hierzu wie folgt:

Damit der Notarztdienst seine hohe gesellschaftliche Anerkennung behalten wird und das exzellente Versorgungsniveau in Bayern im Interesse aller Notfallpatienten bewahrt bleiben kann!“

Dem können wir uns nur anschließen!

 

 

Für den GPA-Bezirk Unterfranken. Dr.med. Peter Jung.