Artikel vom 05.09.2020
Scharf:
Dass Frauen den Laden am Laufen halten, wird politisch nicht genug berücksichtigt.
Frauenquote in der Politik
Die Krise hat Männerkarrieren befördert
Frauenquoten als Mittel gegen zu viel Testosteron in der Politik - das empfiehlt die Chefin der bayerischen Frauen Union, Ulrike Scharf. Dass beim CSU-Parteitag auch jüngere Frauen die Förderung ablehnten, hat sie besonders getroffen.
Ein Interview von Anna Clauß Spiegel / Politik
Zur Person
- Ulrike Scharf, geboren 1967 in Erding, ist seit 2019 Landesvorsitzende der Frauen Union Bayern, der Interessenvertretung der Frauen in der CSU. Scharf wurde 2006 zum ersten Mal in den Bayerischen Landtag gewählt, von 2014 bis 2018 war sie Bayerische Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz.
SPIEGEL: Frau Scharf, vor einem Jahr rebellierte die Parteibasis auf dem Reformparteitag der CSU gegen eine Ausweitung der Frauenquote. Haben Sie diese Niederlage mittlerweile verarbeitet?
Scharf: Der Parteitag war eine sehr bittere Erfahrung. Viele Mitglieder der Frauen Union haben in der Quotenaussprache Verletzungen erlitten, die noch heute spürbar sind und aufgearbeitet werden müssen. Die Diskussion war noch unerbittlicher als auf dem Parteitag vor zehn Jahren, als die CSU für verpflichtende Frauenquoten von 40 Prozent auf Bezirks- und Landesebene stimmte.
SPIEGEL: Welche Wortmeldungen von Quotengegnern haben Sie besonders schwer getroffen?
Scharf: Das immer gleiche Argument von Kreisvorsitzenden, sie hätten keine Zeit dafür, mit dem Rechenschieber Geschlechterparität bei Vorstandswahlen zu überwachen, und außerdem seien Frauen leider, leider nicht da, nervt viele in der Frauen Union. Besonders schmerzhaft aber war die Weigerung der jungen Parteimitglieder, den Erfahrungswerten von uns langjährigen CSU-Damen zu vertrauen. Ich verstehe schon, dass ehrgeizige Frauen sich aus eigener Kraft in der Partei etablieren wollen. Aber ohne die Quote erreichen wir das gemeinsame Ziel einfach nicht schnell genug.
SPIEGEL: Die CDU will auf ihren Bundesparteitag im Dezember über eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent bis 2025 abstimmen. Im Vorfeld gab es zähe parteiinterne Verhandlungen, Friedrich Merz sucht immer noch nach einer Alternative zur Quote. Was raten Sie der Schwesterpartei?
Scharf: Ich habe Annette Widmann-Mauz, der Chefin der Frauen Union der CDU, dazu geraten, frühzeitig und intensiv den Dialog mit der Basis zu suchen. Es gibt sicher auch in der CDU Kreisvorsitzende, die glauben, Quoten brauche es nicht, allein Leistung müsse entscheiden. Es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten und bei allen das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass CDU und CSU nur Volkspartei bleiben können, wenn sie die gleiche Teilhabe für Frauen und Männer gewährleisten.
SPIEGEL: In Thüringen hat der Landesverfassungsgerichtshof vor Kurzem ein Paritätsgesetz gekippt, das den Parteien vorschrieb, ihre Wahllisten abwechselnd mit Männern und Frauen zu besetzen. Sind Quoten folglich undemokratisch?
Scharf: Wir als Frauen Union sehen die Quote als Instrument, das vorübergehend notwendig ist, um auf den richtigen Weg zu kommen.
SPIEGEL: Welche Bilanz ziehen Sie ein Jahr nach dem Reformparteitag?
Scharf: Immerhin eine Soll-Quote von 50 Prozent im engeren Kreisvorstand und eine verpflichtende Parität bei der Besetzung im engen Vorstand auf Bezirksebene und an der Parteispitze konnten wir durchsetzen. Bei der Kommunalwahl in Bayern vor einem halben Jahr traten außerdem durch die Bank viel mehr Frauen für die CSU an als bisher. Augsburg hat mit Eva Weber zum ersten Mal eine christsoziale Frau als Stadtoberhaupt. Im Landkreis München Land und in der Nürnberg Stadt stellte die CSU paritätisch besetzte Wahllisten auf. Es tut sich schon was, aber nicht genug.
SPIEGEL: Rund 90 Prozent der Rathäuser in Bayern werden nach wie vor von Männern regiert. Erhalten Sie genug Rückendeckung vom Parteivorsitzenden, die CSU weiblicher zu machen?
Scharf: Wir sind die größte Arbeitsgemeinschaft innerhalb der Partei, Anfang der Woche hat Markus Söder gemeinsam mit uns das neue Logo der Frauen Union präsentiert. Nächstes Jahr stehen Vorstandswahlen auf allen Parteiebenen an. Wir, genauso wie die Parteispitze, wollen und müssen die Verbände für mehr Frauenförderung an der Basis sensibilisieren. Dass Frauen da sind, dass sie es können und wollen, steht außer Frage. Aber beim letzten Schritt brauchen viele Hilfestellung. Frauen wollen gefragt und aufgefordert werden. Daran sollten die Kreis- und Ortsvorsitzenden früh, also möglichst jetzt, denken.
SPIEGEL: Hat die Coronakrise das politische Engagement von Frauen eher befördert oder gebremst?
Scharf: Auf der einen Seite haben sicherlich viele Frauen eine leichtere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Parteiarbeit durch die Teilnahme an virtuellen Konferenzen und Vorstandssitzungen erlebt, statt lange Fahrtwege in Kauf nehmen zu müssen. Wir konnten zudem im ersten halben Jahr 400 Neumitglieder rekrutieren. Andererseits fehlt uns allen die persönliche Begegnung. Meinem Eindruck nach hat die Krise außerdem Männerkarrieren mehr befördert als die von Frauen.
SPIEGEL: Woran machen Sie das fest?
Scharf: Die dominanten Akteure in der Krisenbewältigung in den Bereichen Virologie, Gesundheitspolitik, Wirtschaftsrettung und Medien waren doch mehrheitlich Männer. Im Mai hat die Frauen Union in einem Positionspapier darauf hingewiesen, dass Frauen systemrelevant sind. Sie sitzen an der Supermarktkasse, sie arbeiten im Krankenhaus-Schichtdienst oder in Pflegeeinrichtungen besonders hart, aber auch besonders unsichtbar und unterbezahlt. Dass es Frauen sind, die an vielen Stellen Deutschlands den Laden am Laufen halten, wird politisch nicht genug berücksichtigt.
SPIEGEL: Die These, dass es eine krisenbedingte Rolle rückwärts im Verhältnis der Geschlechter gegeben habe, widerlegen einige Studien allerdings.
Scharf: Meiner Erfahrung entspricht das nicht unbedingt. Vielerorts waren es mehrheitlich Frauen, die ihr berufliches Engagement zurückgefahren haben, um zum Beispiel das Homeschooling der Kinder zu übernehmen.
SPIEGEL: Bei ihrer Schwesterpartei CDU kann man mit Blick auf die anstehende Wahl des neuen Parteivorsitzenden durchaus eine Vermännlichung diagnostizieren. Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass keine Frau antritt?
Scharf: Ich bedauere es sehr, dass im Kandidatenkarussell keine Frau mit am Start ist. Frauen müssen sich auch auf Spitzenämter wie diese bewerben.
SPIEGEL: Die Nachfolge Angela Merkels strebt womöglich auch in der CSU ein Mann an. Glauben Sie, dass Markus Söder Kanzlerin kann?
Scharf: Über die K-Frage reden wir, sobald die CDU ihren neuen Parteivorsitzenden gewählt hat.