Kreisverband Erding

Scharf wirkt mit beim Koalitionsvertrag

16 Stunden Verhandeln täglich

Ulrike Scharf mit Redaktionsleiter Dieter Prieglmeir (c) PRI

Freitag, 09. Mai 2025, Erdinger Anzeiger / Erdinger Anzeiger

16 Stunden Verhandeln täglich

Ministerin Scharf war eine der Geburtshelferinnen des Koalitionsvertrags

Von Berlin nach Erding: Sozialministerin Ulrike Scharf berichtet Redaktionsleiter Dieter Priglmeir von den Verhandlungen. © pri

Erding – Ulrike Scharf schreckte aus dem Schlaf. „Um Himmels Willen, der Passus mit der Arbeitszeit fehlt!“ Sie sei nochmal ihre Papiere durchgegangen. Nichts gefunden. Jetzt werde sie wohl den Parteivorsitzenden anrufen müssen – kurz vor Mitternacht. Die CSU-Politikerin erzählt dies wenige Stunden, bevor in Berlin der Koalitionsvertrag unterschrieben wird. „Verantwortung für Deutschland“ heißt das 144-seitige Papier von CDU, CSU und SPD. Der Vertrag ist das Ergebnis, das die 16 Arbeitsgruppen erarbeitet haben.

Warum Bayerns Sozialministerin dabei war? „Es mussten unbedingt auch Landespolitiker am Tisch sein“, sagt Scharf. Gerade diese könnten abklopfen, wie sich Entscheidungen auf die Länder und vor allem auf die Kommunen auswirken. „Für mich gab es mehrere Optionen. Es hätte auch das Thema Familie sein können.“ Letztlich wurde aber entschieden, dass Scharf für Arbeit und Soziales zuständig ist.

Streitpunkt Mütterrente

Also rein in die Verhandlungen mit dem üblichen Proporz: zwei weitere Vertreter der CSU, sechs von der CDU, sieben von der SPD. Eine Woche lang sei sie durchgehend in Berlin gewesen, berichtet Scharf. Zuvor habe es einige Schalten, Telefonkonferenzen gegeben. Und die Sitzungen hätten quasi schon jeweils am Abend davor mit Vorbesprechungen begonnen. „Es hat ja auch innerhalb der Unionsfamilie nicht in allen Punkten Einigkeit geherrscht“, sagt die Maria Thalheimerin und nennt als Beispiel die Mütterrente. Da habe sie dann schon auch gespürt: „Ich muss kämpfen, damit diese Dinge dann auch im Koalitionsvertrag stehen.“

Der Auftrag der Arbeitsgruppe: ein sechsseitiges Positionspapier. Letztlich seien es 13 gewesen – nach hartem Ringen um kleinste Details, und das 16 Stunden am Tag. Wie geht das? „Die Versorgung muss stimmen“, sagt Scharf und lacht. „Ohne Mampf kein Kampf.“ Letztlich sei aber allen klar gewesen, „dass wir schnell und zügig unsere Themen durchbringen müssen“, die Situation erlaube kein Zögern. Also setzt man sich zusammen, erlebt in den Sondierungsgesprächen einen Mix aus Teamgeist und gegenseitigem Austarieren.

Giftige Momente

Der Diskurs sei speziell beim Thema Bürgergeld entsprechend scharf gewesen. Sehr bunt seien die Genossinnen aufgestellt gewesen. „Das reichte von einer parlamentarischen Geschäftsführerin, die mit allen Wassern gewaschen ist, bis zu ganz jungen Vertreterinnen – es war eine Mischung aus Persönlichkeiten“, erzählt Scharf und fügt hinzu: „Genau wie bei uns.“

Mit Carsten Linnemann habe sie vorher noch nicht so eng zusammengearbeitet. „Aber wir sind wunderbar zurechtgekommen und haben uns viele Bälle zugespielt.“ Europaabgeordneter Dennis Radtke habe Erfahrungsschatz und europäische Perspektive eingebracht. Mit der Fraktionsvorsitzenden aus dem Hessischen Landtag sei sie „auf einer Wellenlänge“ gewesen.

Freundschaften seien entstanden. Auch parteiübergreifend? „Zum Teil“, sagt Scharf. Es gab auch heikle Momente, die Scharf als sehr despektierlich empfand. „Der Geist hat immer wieder einmal gewechselt. Wir wissen alle, wie die Situation ist im Land. Und aus der Verantwortung heraus haben wir verhandelt.“ Bei manchen Themen sei es aber giftig geworden. „Beim Bürgergeld zum Beispiel hat eine der Verhandlerinnen uns immer vorgeworfen: ,Ihr habt ein komplett anderes Menschenbild.‘“ Das finale Papier sei als eines der letzten rausgegangen. „Immer wieder mussten wir korrigieren. Einmal stand plötzlich im Papier: Wir schaffen die Minijobs ab“, erzählt Scharf. „Dann habe ich wirklich dreimal mit der flachen Hand auf den Tisch geklopft und gesagt: Nein, nein, nein.“

Mit dem Ergebnis ihrer Arbeitsgruppe sei sie letztlich zufrieden gewesen. Der Lohn für eine anstrengende Zeit, den sie „mit einem gewissen Schlafdefizit“ bezahlt habe. Womit wir wieder beim eingangs erwähnten Schreck wären. „Ich habe geblättert und geblättert und wirklich nichts gefunden“, erzählt Scharf. „Und das ausgerechnet beim Thema flexible Arbeitszeiten, einem der Wichtigsten überhaupt.“ Sie habe sich Söders Nummer schon zurechtgelegt. „Dann habe ich es natürlich doch noch entdeckt.“ Wenigstens einer durfte durchschlafen. 
DIETER PRIGLMEIR 

Zitate

Zur Merz-Pleite im ersten Wahldurchgang: „Das Ergebnis des Tages zählt: Wir haben einen neuen Bundeskanzler und eine handlungsfähige Bundesregierung. Es war ein geschichtsträchtiger Tag – jetzt geht es los. Wir müssen unsere Ziele umsetzen.“

Mütterrente III: „Es ist eine wichtige Anerkennung der Lebensleistung von Müttern, dass die Mütterrente jetzt endlich kommt. Alle Mütter erhalten unabhängig vom Geburtsjahr zukünftig drei Rentenpunkte. Das ist glaubwürdig, schafft Vertrauen, Sicherheit und wirkt der Altersarmut von Frauen entgegen.“

Arbeitszeitflexibilisierung: „Unsere Arbeitskultur hat sich geändert. Wir brauchen einen Befreiungsschlag für Arbeit und Leistungsbereitschaft.“

Neue Grundsicherung: „Aktivieren statt Alimentieren wird wieder als Grundsatz gelten. Erhöhte Sanktionsmöglichkeiten und der Fokus der Jobcenter auf die Vermittlung Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt sind die richtigen Zeichen.“ 
PIR