Kreisverband Neu-Ulm

Herzensangelegenheits-und Strategie-Erfolgsrezept:

Die Bedeutung der Kommunen für die CSU vor Ort

ACSP-Plakat zur Kommunalwahl 2014: Die Kommunen sind die Ebene, die dem Bürger im politischen und verwaltungsmäßigen Aufbau des Staates am nächsten sind. Die kommunale Selbstverwaltung ist Ausdruck der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeit der Bürger. Diese fundamentale Rolle unterstreicht die Bayerische Verfassung in Artikel 11 – demnach haben Gemeinden das Recht, „ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten, insbesondere ihre Bürgermeister und Vertretungskörper zu wählen“. Und weiter heißt es: „Die Selbstverwaltung der Gemeinden dient dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben.“
ACSP-Plakat zur Kommunalwahl 2014

Wunsch nach Identität, Anerkennung und Selbstbestimmung:

Silke Franke
Michael Weigl

Entscheidungen in eigener Sache treffen und das Lebensumfeld selbst gestalten zu können, ist nicht nur eine Frage der Eigenverantwortung, sondern auch zentrale Motivation für Engagement und Ausdruck demokratischer Mitbestimmung. Die Wahrung lokaltypischer Bräuche und eine rege Vereinskultur zeugen ebenso wie das ortseigene Feuerwehrhaus oder der Brunnen zur Trinkwassergewinnung von dem Wunsch nach Identität, Anerkennung und Selbstbestimmung. Die ausgesprochene Vielfalt an Landschaften, Regionen und Kommunen wird in Bayern als positiver Wert anerkannt und gepflegt.

Für die CSU ist die kommunale Selbstverwaltung nicht nur ein hohes Verfassungsgut, sondern auch Leitbild erfolgreicher Politik, weshalb sie sich für finanziell und rechtlich handlungsfähige Gemeinden einsetzt. Die CSU beruft sich dabei auf das Prinzip der Subsidiarität. Demnach sollten Aufgaben möglichst von der kleinsten Einheit wahrgenommen werden und nur, wo dies nicht möglich ist, die nächstgrößere Einheit zum Einsatz kommen. Das Grundsatzprogramm von 2007, das unter der Leitung von Alois Glück entstand, hat die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips gar zur politischen Leitlinie erklärt. Nach dem von Glück – auch in anderen Schriften und Büchern – formulierten Ideal der „aktiven Bürgergesellschaft“, soll die Eigeninitiative und Selbstorganisation vor Ort Vorrang vor übergeordneten staatlichen Regelungen haben. Da ein derart verstandener Subsidiaritätsbegriff auch auf die anderen Ebenen der staatlichen Aufgabenteilung übertragbar ist, heißt es im CSU-Grundsatzprogramm von 2007: „Wir verteidigen und stärken die kommunale Selbstverwaltung, die föderale Freiheit der Länder gegenüber dem Bund und den dezentralen Aufbau der Europäischen Union.“

Anspruch der Mitbestimmung:

Trotz der „Charta der kommunalen Selbstverwaltung“ von 1985 sind Föderalismus und kommunale Selbstverwaltungshoheit keine Selbstverständlichkeit in Europa. Gleichzeitig wirken sich Entscheidungen der EU immer stärker auch auf Regionen und Kommunen aus. So wie die Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union ist auch das bereits 1992 gegründete Europabüro der bayerischen Kommunen deshalb Signal, Entscheidungen auf europäischer Ebene konstruktiv mitgestalten zu wollen. Die personelle Nähe von CSU und den kommunalen Spitzenverbänden in Bayern erleichtert dabei manche Abstimmungen und Positionsbestimmungen. Von der Nachkriegszeit bis heute werden die Präsidenten des Bayerischen Gemeindetags von CSU-Mitgliedern gestellt, auch beim Bayerischen Städtetag konnten sich mit wenigen Ausnahmen CSU-Oberbürgermeister als Vorsitzende durchsetzen.

Doch egal ob von SPD oder CSU, nicht wenige Vertreter der kommunalen Spitzenverbände gelten bis heute als Unikate und trauten sich, der bayerischen Staatsregierung gegebenenfalls auch deutlich Contra zu geben. Ein legendärer Vertreter dieser „Spezies“ war der ehemalige Landshuter Oberbürgermeister Josef Deimer (CSU), den die Süddeutsche Zeitung zu seinem 80. Geburtstag als „Gigant der Kommunalpolitik“ würdigte. Deimer war 30 Jahre lang, von 1975 bis 2005, Präsident des Bayerischen Städtetags, welchen er „zu einer Art außerparlamentarischen Opposition gegen die Staatsregierung formte“ (Wittl 2016). Sein unermüdlicher Einsatz für die Städte wurde so gefürchtet wie respektiert, was der frühere CSU-Parteichef Theo Waigel mit den Worten kommentierte: „Einige Deimers braucht es, aber nicht zu viele.“

Großstädte als Achillesferse der CSU:

Vor allem die acht bayerischen Großstädte mit mindestens 100.000 Einwohnern sind es, die den Christsozialen bei Wahlen Sorgen bereiten. Zwar ist die CSU bei Kommunalwahlen in Gemeinden nur eine 30+x-Partei, während sie auf Kreisebene traditionell 40+x der Stimmen auf sich vereinen kann. Traditionell aber gilt den Medien das Abschneiden der Parteien in den großen bayerischen Metropolen München und Nürnberg als Gradmesser ihrer kommunalen Stärke. Gerade einmal zwei Oberbürgermeister – Erich Kiesl (1978-1984) in München und Ludwig Scholz (1996-2002) in Nürnberg – konnte die CSU hier stellen, ansonsten waren beide Metropolen stets in sozialdemokratischer Hand. Große Freude daher nach den Kommunalwahlen 2020: Mit Marcus König stürmte die CSU ausgerechnet die SPD-Hochburg Nürnberg. Und Augsburg, drittgrößte Stadt in Bayern, blieb mit Eva Weber als Nachfolgerin von Kurt Gribl in CSU-Hand.

Kommunen als Rückgrat der Volkspartei CSU:

Aufgrund der Konkurrenz durch freiwillige Wählervereinigungen, die SPD sowie jüngst auch die Grünen war die CSU bei Kommunalwahlen lediglich ein einziges Mal – Wahlen zu Kreis­tagen und kreisfreien Städten 1978 – 50+x-Partei. Gleichwohl waren und sind die Kommunen das Rückgrat der Volkspartei CSU. Wie keine andere Partei im Freistaat ist sie flächendeckend in den Kommunen präsent und vernetzt. Mit zehn Bezirksverbänden, 108 Kreisverbänden und offiziell 2.853 Ortsverbänden ist sie weitaus besser als ihre parteipolitische Konkurrenz in der Lage, überall in Bayern Flagge zu zeigen. Nur aufgrund dieser flächendeckenden Präsenz vor Ort war es der CSU in der Vergangenheit möglich, ein eng geknüpftes Netzwerk in den vorpolitischen Raum zu flechten. Nur aufgrund dieses Netzwerkes war es der CSU möglich, sich die „Stammtisch­hoheit“ im Freistaat zu sichern.

Zu wissen, was die Bürgerinnen und Bürger bewegt:

Jahrzehntelang war es das von den Ortsverbänden getragene Netzwerk im vorpolitischen Raum, das die CSU von Erfolg zu Erfolg getragen hat. Die „Kette von der Kommunalpolitik bis hin zur Landes-, Bundes- und Europapolitik“ (Edmund Stoiber) funktionierte, die Partei wusste, was die Menschen bewegte, und verstand ihre Deutung der Dinge bis nach ganz unten durchzusetzen. Fast alle ihre Abgeordneten, gleichgültig, ob auf Landes-, Bundes- oder Europaebene, waren und sind stets auch kommunalpolitisch aktiv und so Mittler zwischen Basis und Parteispitze. Sie tragen die Probleme und Stimmungen vor Ort in die Fraktionen und von dort zu den Entscheidungs­trägern in politischen Ämtern.

Inzwischen, mit der Erosion der angestammten Milieus, der voranschreitenden Fragmentierung der Gesellschaft und dem Nachlassen der Parteibindungen, gerät aber auch das einst so erfolgreiche Konstrukt der „Kette“ unter Druck. Statt wie früher Ort der Selbstvergewisserung und Bestätigung, sind Kommunalwahlen heute für die CSU Seismograf des inzwischen volatilen Verhältnisses von Partei und Wählern. Wie auf allen anderen Ebenen – Europa, Bund und Land – sinken die Wahlergebnisse der CSU auch bei Kommunalwahlen, besonders deutlich seit 2008 und hier wiederum in den großen Städten. Die Herausforderung, christlich-konservative Anhänger ebenso anzusprechen wie aufgeschlossene, urbane Milieus, ist groß.

„Näher am Menschen“:

Mit dem Anfang der 1990er-Jahre bei der CSU einsetzenden Mitgliederschwund sind die Möglichkeiten, der Partei vor Ort ein Gesicht zu geben, kleiner geworden. Vor allem aber ist es das Verschwinden der alten Dorfstrukturen, in der jeder jeden kannte, das der Partei zu schaffen macht. Früher war es für die CSU eine Selbstverständlichkeit, nah am Bürger zu sein. Heute muss sie für ihr seit 2003 immer wieder mal im eigenen Logo verewigten Selbstverständnis, „näher am Menschen“ zu sein, neue Wege gehen. Ihre starke Präsenz vor Ort gab der CSU die Möglichkeit, nicht nur die Gestaltung der Rahmenbedingungen bayerischer Politik zu kontrollieren, sondern auch deren Übersetzung in die konkreten Lebenswelten der Menschen vor Ort. Ihre kommunalpolitische Stärke erlaubte ihr eine „Politik aus einem Guss“, pragmatisch und bürgernah. Mit der Individualisierung der Gesellschaft aber hat sich auch Kommunalpolitik gewandelt. Der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach Teilhabe an politischen Willens­bildungs- und Entscheidungsprozessen auf der kommunalen Ebene ist stark angewachsen. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind seit ihrer Einführung durch Volksentscheid vom 1. Oktober 1995 zur freistaatlichen Selbstverständlichkeit geworden. Politik und Parteien sehen sich zu stärker dialogorientierten Formaten gezwungen, auch die kommunale Ebene kennt den Wandel von Governement zu Governance.

Literatur:

Mehr Demokratie e.V., Bürgerbegehrensbericht 2018, Berlin 2018.

Edmund Stoiber, 60 Jahre CSU – Herkunft und Zukunft einer Volkspartei, in: Politische Studien 403 (2005) S. 16-25.

Michael Weigl, Die CSU. Akteure, Entscheidungsprozesse und Inhalte einer Partei am Scheideweg, Baden-Baden 2013.

Alois Glück/Holger Magel (Hrsg.), Neue Wege in der Kommunalpolitik. Durch eine neue Bürger- und Sozialkultur zur Aktiven Bürgergesellschaft, München 2000.

Wolfgang Wittl, „Josef Deimer: Ein Gigant, wie ihn die CSU heute vermisst“, in: Süddeutsche Zeitung vom 29. Mai 2016, Bayernteil.

Wachsen an der Herausforderung: Die CSU und die Gemeindegebietsreform:

Michael Weigl

Die zweite Hälfte der 1970er-Jahre sah eine CSU, die nur so strotzte vor Kraft und Selbstbewusstsein. Ob bei Europa-, Bundes-, Landtags- oder auch Kommunalwahlen: Überall hagelte es neue Rekordergebnisse, die die Dominanz der Partei im bayerischen Parteisystem nicht nur zementierten, sondern weiter ausbauten. Gründe hierfür gab es verschiedene, zum Beispiel die Modernisierung Bayerns unter Ministerpräsident Alfons Goppel, die klare Frontstellung der CSU gegenüber der sozial-liberalen Regierung in Bonn oder die allgemeine Politisierung der Gesellschaft dieser Zeit. Gleichwohl erscheint der Umstand, dass die CSU in den 1970er-Jahren selbst bei Kommunalwahlen nicht an Zustimmung einbüßte, sondern im Gegenteil noch erhebliche Gewinne verzeichnen konnte, im Rückblick überraschend. Die in den 1970er Jahren realisierte Gemeindegebietsreform in Bayern – die weitreichendste Reform der bayerischen Verwaltungsstrukturen seit Montgelas – hätte nach heutigen Maßstäben das Potenzial, die regierende Partei in die Knie zu zwingen: Zu heikel, zu emotional, zu kontrovers, politisch kaum durchsetzbar ohne Beschädigung. Die CSU dagegen schulterte die Herausforderung nicht nur, sie wuchs an ihr.

v.li. Max Streibl, Bruno Merk, Franz Josef Strauß und Alfons Goppel vor einer Karte Bayerns nach der Gebietsreform
Rolf Sanzenbacher

Ein Jahrzehnt Reformanstrengungen:

Als Goppel in seiner Regierungserklärung vom 25. Januar 1967 eine umfassende Reform der bayerischen Verwaltung mit Blick auch auf die Gliederung des Landes in Gemeinden, Landkreisen und Bezirke ankündigte, war die Notwendigkeit einer Reform allgemein anerkannt. Um den Strukturwandel Bayerns von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft erfolgreich zu schultern, mussten auch die Kommunen zukunftstauglich gemacht werden. Schon im Dezember 1971 beschloss der Bayerische Landtag mit der Mehrheit der CSU-Abgeordneten ein entsprechendes Gesetz zur Neugliederung Bayerns, nachdem zuvor die Kommunen zweimal angehört worden waren.

Tatsächlich bestand die Gemeindegebietsreform aus drei Strängen: der bereits 1972 abgeschlossenen Kreisreform, der 1978 zu Ende geführten Gemeindereform und der Mitte der 1970er-Jahre verwirklichten Funktionalreform mit dem Ziel der Zuständigkeitsverlagerung von Verwaltungsaufgaben von oben nach unten. Im Ergebnis änderte sich die politische Landkarte Bayerns massiv: Die Zahl der Landkreise wurde von vormals 143 auf nunmehr 71 verringert, die Zahl der Gemeinden sank von 7.073 auf 2.048 (heute: 2.056), die der kreisfreien Städte von 48 auf 25. Mit zwei Gesetzen vom 27. Juli und 15. Dezember 1971, die den Rahmen der Reformmaßnahmen darstellten, wurde die kommunale Selbstverwaltung gestärkt. Auch wurden manche Verwaltungsaufgaben wie die Ausstellung von Pässen und Personalausweisen auf die Gemeinden verlagert, um so dem Ziel der Maßnahmen, eine effektive und bürgernahe Verwaltung zu installieren, gerecht zu werden.

Mit Mistgabeln und Barrikaden für die Eigenständigkeit:

Unumstritten waren kommunale Gebietsreformen, wie sie zu dieser Zeit in der ganzen Bundesrepublik umgesetzt wurden, nirgendswo. „Doch wohl nirgends“ war der kommunalpolitische Widerstand „so stark und so organisiert wie in Bayern“ (Scholler). Die „Arbeitsgemeinschaft für die Gebietsreform von Landkreisen und Gemeinden Bayerns“ (Riedenburger Kreis) strebte 1971 einen Volksentscheid zur Festschreibung einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit für Gebiets- und Bestandveränderungen (Art. 9 und 10 Abs. 1 BV) an, fand jedoch nur die Unterstützung von 3,7 Prozent der Wahlberechtigten, verfehlte damit sogar das in Bayern notwendige Quorum (10 Prozent) für Volksbegehren. Eine weitere Volksbegehrensinitiative der „Aktionsgemeinschaft Demokratische Gemeindegebietsreform Bayern“ (Türkenfelder Kreis) zusammen mit der „Vereinigung für Gemeindefreiheit in Bayern“ (Leutstetten) strebte an, Gebiets- und Bestandsänderungen in der Regel von dem Ergebnis von Bürgerbefragungen abhängig zu machen (Art. 11 BV). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof aber erklärte diese Initiative 1978 für verfassungswidrig. Schließlich scheiterte auch eine Popularklage von 211 Gemeinden vor Gericht (1978).

Jenseits solch überregionaler Initiativen formierte sich an vielen Orten Bayerns der Unmut der Menschen – vor allem ab Januar 1976, als in der so genannten „Amtsphase“ nach einer Zeit der Freiwilligkeit nun Zwangseingemeindungen und Zwangsmitgliedschaften in einer Verwaltungsgemeinschaft drohten. Nicht überall ging dabei der Protest so weit wie im schwäbischen Horgau, wo die Bürgerinnen und Bürger ihr Rathaus mit Mistgabeln verteidigten, oder im unterfränkischen Ermershausen, wo eine Barrikade des Rathauses gar in dessen Räumung durch mehrere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei mündete. Gleichwohl war der Unmut in der Bevölkerung groß. Zwar wehrten sich – in Relation zur Gesamtzahl der betroffenen Gemeinden – nur wenige mit juristischen Mitteln gegen die Maßnahmen. Viele aber verzichteten lediglich aus Kostengründen oder aufgrund der nur geringen Erfolgsaussichten auf einen Gang vor Gericht. Noch bis in die 1990er-Jahre hatten sich die obersten bayerischen Gerichte mit entsprechenden Klagen zu beschäftigen.

Die politische Kultur der „alten Zeit“ als Stütze der CSU:

Um zu verstehen, wie die CSU diese Stürme unbeschadet überstehen konnte, ist es notwendig, die Uhren zurückzudrehen. Der Wandel von Gesellschaft und politischer Kultur deutete sich in den 1970er-Jahren an. Noch aber griffen die Mechanismen der ‚alten Zeit‘ mehr als das Neue.

Die Landtagswahl 1978 markierte einen Umbruch. Nach 16-jähriger Amtszeit kandidierte nicht mehr Alfons Goppel, sondern Franz Josef Strauß für das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten. Strauß aber hatte sich an die Spitze des Protestes kommunaler Mandatsträger aus der CSU gegen die Gebietsreform gestellt. Im Wahlkampf ausgesandte Signale punktueller Korrekturen erhielten so eine besondere Glaubwürdigkeit. Von einer grundlegenden Abkehr vom eingeschlagenen Weg aber konnte auch im so genannten Korrekturgesetz vom 10. August 1979 keine Rede sein.

Ihre ausgeprägte „Grasverwurzelung“ vor Ort und ihre Netzwerke zu Interessenorganisationen ermöglichte der CSU den ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie Akteuren der Zivilgesellschaft. Ob Zustimmung zur Reform oder auch Unmut – die Diskussionen liefen mit der CSU, nicht gegen sie. Zwar kam es auch vereinzelt zu Austritten aus der Partei, die ideologisch motivierte Parteibindung an die CSU und ihre Netzwerkstrukturen aber waren noch intakt und überwog letztlich den Unmut.

Als bürgerliche Kraft war die CSU dieser Zeit weitgehend alternativlos. Wer bürgerlich-konservativ eingestellt war, konnte nicht anders, als christlich-sozial zu wählen, zumal die Gemeindegebietsreform zwar Emotionen und Protest schürte, nicht aber an den christlich-konservativen Grundsätzen der Partei rüttelte. Im Gegenteil war der alternative Rothemund-Plan der SPD vom 15. Februar 1971 mit seiner angedachten Ersetzung von Kreisen und Bezirken durch Verwaltungsregionen ausgesprochen radikal, machte demnach auch keine Angebote für eine konservativ gestimmte Wählerschaft.

Schließlich, und nicht zuletzt, war die politische Kultur der Zeit noch von einer stark ausgeprägten Akzeptanz der repräsentativen Demokratie geprägt. Traditionelle Autoritätsvorstellungen waren noch weitgehend intakt und äußerten sich beispielsweise in einem honoratiorenbezogenen Wahlverhalten. Die „partizipatorische Revolution“ (Kaase) stand erst an ihrem Anfang, der Wunsch der Bürger nach Teilhabe an Entscheidungsprozessen war noch nicht derart ausgeprägt wie in heutiger Zeit.

Vergangen, nicht vergessen:

Die Gemeindegebietsreform belastete das Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der CSU. Tatsächlich beschädigen aber konnte sie es nicht. Zu stark war die Autorität der CSU, zu eng ihre Netzwerke in die Fläche und den vorpolitischen Raum, zu ausgeprägt auch noch das ideologische und honoratiorenbezogene Wahlverhalten, als dass selbst eine solch weitreichende Reform ihr gefährlich hätte werden können. Wie sehr die Gemeindegebietsreform aber aufwühlte, zeigt sich wieder seit 2013. Seitdem der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) die sogenannte Kennzeichenliberalisierung durchsetzte, wurden in Bayern bereits wieder rund 70 alte Autokennzeichen der Zeit vor der Reform reaktiviert. Das Bewusstsein um alte Eigenständigkeiten lebt weiter fort – wenn auch vor allem auf der Straße.

Literatur:

Karl-Ulrich Gelberg, Vom Kriegsende bis zum Ausgang der Ära Goppel (1945-1978), in: Max Spindler (Begr.)/Alois Schmid (Hrsg.), Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart (Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. IV, 1) München 2003, S. 635-956.

Philipp Hamann, Gemeindegebietsreform in Bayern. Entwicklungsgeschichte, Bilanz und Perspektiven, München 2005.

Max Kaase, Partizipatorische Revolution – Ende der Parteien?, in: Joachim Raschke (Hrsg.), Bürger und Parteien. Ansichten und Analysen einer schwierigen Beziehung, Bonn 1982, S. 173–189.

Wolfgang Krieger, Franz Josef Strauß und die zweite Epoche in der Geschichte der CSU, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.), Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU 1945-1995, Grünwald 1995, S. 163-193.

Heinrich Scholler, Die bayerische Gemeindegebietsreform als Konflikt zwischen grundrechtlich verstandener Selbstverwaltung und staatlicher Reformpolitik, München 1980.

Theo Stammen/Hans-Otto Mühleisen, Gemeinde- und Gebietsreform in Bayern. Politikwissenschaftliche Fragen und Unter­suchungen 10 Jahre nach Abschluss der Reformmaßnahmen, Augsburg 1986.

Landesentwicklung in Bayern – Die CSU als Schutzpatronin für den ländlichen Raum:

Silke Franke
Michael Weigl

1995 wurden in Deutschland erstmals „Metropolregionen“ in der Raumordnung definiert. Sie gelten als Motoren der sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung für das ganze Land. In den ländlichen Regionen hingegen wurde diese Kategorie mit gemischten Gefühlen aufgenommen.

Plakat zur Kommunalwahl 1956 oder 1960
ACSP

Strahlende Leuchttürme und ein verunsichertes Hinterland:

Als das Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Berlin 2006 einen Bericht zur Zukunftsfähigkeit der Regionen in Deutschland veröffentlichte, schienen sich deren Befürchtungen zu bestätigen. Angesichts des demographischen Wandels bescheinigten die Autoren nur den Metropolregionen Zukunftsaussichten. Ansonsten gelte es, sich der Realität einer alternden und schrumpfenden Republik zu stellen und sich aus Gegenden mit andauerndem wirtschaftlichen und demographischen Verfall schrittweise zurückzuziehen. Die Politik müsse sich, so das Fazit der Folgestudien 2009 und 2011, vom Ziel gleicher Lebensverhältnisse im ganzen Land verabschieden, denn in manchen Regionen wäre ein weiteres Gegensteuern zu teuer, „nicht förderbar“ (Krönert, u.a.). Auch in Bayern wurden solche Problemzonen ausgemacht, wie etwa die Grenzgebiete im Norden und Osten des Freistaats, für die das Institut der deutschen Wirtschaft 2007 eine „Anbindungsstrategie“ vorschlug. Selbst im Bericht des von der Bayerischen Staats­regierung eingerichteten Zukunftsrates war Ende 2010 von „Leistungsträgern“ mit „Leuchtturmfunktion“ – gemeint waren damit die Agglomerationszentren – die Rede. Der ländliche Raum hingegen: „Hinterland“. Sollten im Zuge der (internationalen) Wettbewerbsfähigkeit nur noch die Starken weiter gestärkt werden und alle anderen abgeschrieben? Die betroffenen Kommunalpolitiker und Bürger der so genannten Peripherie waren in Aufruhr.

„Kein Land der zwei Geschwindigkeiten“ – Die Heimatstrategie:

Mit ihrer „Heimatstrategie“ ging die Bayerische Staatsregierung in die Offensive und demonstrierte, dass das erst 2013 in die bayerische Verfassung (Art. 3 Abs. 2 Satz 2) aufgenommene Ziel der gleichwertigen Arbeits- und Lebensbedingungen in ganz Bayern allen Unkenrufen zum Trotz weiterhin uneingeschränkt gelte. Mit der Erweiterung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen um „Landesentwicklung und Heimat“ nach den Landtagswahlen 2013 setzte Ministerpräsident Horst Seehofer ein markantes Zeichen. Dass dieses Heimatministerium darüber hinaus seinen Dienstsitz in Nürnberg einnahm, womit die Bayerische Staatsregierung erstmals seit 1806 wieder einen Sitz außerhalb Münchens hat, tat sein Übriges zur symbolischen Wucht dieser Maßnahme. Zunächst weithin belächelt sollte die Idee eines Heimatministeriums doch Nachahmer finden, so in Nordrhein-Westfalen und auf Bundesebene.

Die freistaatliche Heimatstrategie fand ihre Fortsetzung in der von 2014 bis 2018 tagenden Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“ des Bayerischen Landtages und dem 2015 von Finanz- und Heimatminister Markus Söder vorgestellten „Heimat­bericht“. Söders zentrale Botschaft, dass der ländliche Raum viel besser sei als sein Image, wurde ergänzt durch die konkrete Ausbuchstabierung der Heimatstrategie in fünf strukturpolitischen Säulen: der Stärkung des kommunalen Finanzausgleichs, der Forcierung des Breitbandausbaus, dem Ziel der „Strukturentwicklung für ganz Bayern“, der Ausgründung von Hochschulen sowie der Verlagerung von Behörden. Zu der entsprechenden Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms gehörte die Neuordnung des Zentrale-Orte-Systems und die Erweiterung der Kategorie „Raum mit besonderem Handlungsbedarf“, wodurch mehr Kommunen und Regionen erhöhte Förderpriorität erhielten, sowie die Lockerung des Anbindegebots, welche nun die Ausweisung neuer Gewerbe- und Industriegebiete auch außerhalb bereits bestehender Siedlungseinheiten erlaubte. Gerade letzteres wurde bzw. wird von Experten in ihren Stellungnahmen zur Landesplanung mit Blick auf den Flächenverbrauch allerdings mehrheitlich stark kritisiert (siehe z.B. Initiative „Für das bessere Landesentwicklungsprogramm"). Die Dezentralisierung von Einrichtungen stieß hingegen auf mehr Zustimmung.

Demokratisierung der Bildungslandschaft:

Dass Neugründungen von Universitäten und Fachhochschulen den Regionen wirtschaftliche wie kulturelle Infrastruktur erschließen, hatte sich schon in den 1960er- und 1970er-Jahren gezeigt. Mit den Universitäten Regensburg (gegründet 1962), Augsburg (1970), Bayreuth (1972) und Passau (1973) sowie Fachhochschulen wie beispielsweise in Landshut (1978) war schon frühzeitig eine Dezentralisierung der bayerischen Hochschullandschaft erfolgt, die sich in den 1990er-Jahren mit der Errichtung neuer Fachholschulstandorte in Bayern fortsetzte. Seit den 2010er-Jahren folgten schließlich Dependancen dieser Hochschulen, die wie der zur TU Deggendorf zählende European Campus Rottal-Inn in Pfarrkirchen (2015) „weitab der Universitätsstädte wie Löwenzahn auf der Wiese“ (Günther) sprießen und dem ländlichen Raum neue Impulse geben. Aktuelle Ansätze wie der 2018 gefällte Beschluss zur Gründung einer Technischen Universität in Nürnberg (geplante Eröffnung 2025) oder die Stärkung der Forschungslandschaft flächendeckend in ganz Bayern im Rahmen der „Hightech-Agenda“ (2019) knüpfen nahtlos an diese Idee der Bildungs- und Wissenschaftspolitik als Infrastrukturpolitik an.

Behördenverlagerung aus Überzeugung:

Dem Grundsatz, den Staat nicht nur als Dienstleister, sondern auch als Arbeitgeber zu den Bürgern in ganz Bayern zu bringen, folgt nicht nur die Bildungspolitik als Instrument aktiver Strukturpolitik, sondern ebenso die Idee der Behördenverlagerung. Die Beschlüsse des Kabinetts Seehofer II zur Realisierung der vom Heimat- und Finanzminister Söder erarbeiteten Konzepte „Regionalisierung von Verwaltung“ (2015) und „Chancen im ganzen Land“ (2016) markierte den Beginn der umfangreichsten Regionalisierung von Behörden und staatlichen Einrichtungen in der Geschichte des Freistaates seit dem Zweiten Weltkrieg. Nach Darstellung der Bayerischen Staatsregierung haben zwischen 2015 und 2020 bereits 48 Behörden und staatliche Einrichtungen (von geplant rund 70) mit mehr als 1.260 Beschäftigten (geplant 2.700) ihre Tätigkeit an den neuen Standorten in ganz Bayern – hier vor allem in Räumen mit besonderem Handlungsbedarf – aufgenommen.

Viele der Mitarbeiter traten den Weg aus dem Zentrum der Landeshauptstadt in die bayerische Peripherie nur unwillig oder gar nicht an. Kritiker werfen dem Konzept der Behördenverlagerung sogar vor, mehr Symbolpolitik denn wirksame infrastrukturelle Maßnahme zu sein. CSU und bayerische Staatsregierung aber treten solcher Kritik vehement entgegen. Die CSU sei der „Schutzpatron für den ländlichen Raum“ (Markus Söder), das strukturpolitische Instrument der Behördenverlagerung sei „notwendig als Antwort auf Strukturveränderungen in der Wirtschaft und notwendig als Antwort auf das große Ziel ‚gleiche Lebenschancen in allen Regionen‘“ (Horst Seehofer).

Der Ausgleichsauftrag – Gebot der CSU von Anfang an:

Die Heimatstrategie der Bayerischen Staatsregierung hat der Fortentwicklung des ländlichen Raumes in Bayern neue Impulse gegeben. Tatsächlich aber ist sie nahtlose Fortsetzung einer seit Jahrzehnten gültigen CSU-Politik.

Seit den Anfängen der Raumordnung auf Bundesebene in den 1960er-Jahren vertraten CDU und CSU die Belange der ländlichen Gebiete besonders stark, wohingegen die SPD eher die Interessen der Ballungsräume im Blick hatte – beides den räumlichen Schwerpunkten des Wählerklientels geschuldet. Als im Zuge des Wandels Bayerns vom Agrar- zum Industrieland ländliche, strukturschwache Gegenden wie auch die Zonenrandgebiete von der ökonomischen Entwicklung abgehängt zu werden drohten, hatte die CSU die Forderung nach einem Ausgleich zwischen Stadt und Land zu einem ihrer zentralen Leitbilder mit Wirkung für ihre Politikformulierung in verschiedenen Politikfeldern erhoben, von dem sie bis heute nicht abgerückt ist. Auch in Bereichen der Landwirtschafts- und Umweltpolitik werden strukturpolitische Ziele zugunsten ländlicher Räume verknüpft. Die Philosophie der bayerischen Landentwicklung, wie sie insbesondere von den Ämtern der Ländlichen Entwicklung vertreten werden, setzt sich im Vergleich zu anderen Bundesländern ausnehmend stark für eine eigenständige Entwicklungsfähigkeit und ein von der Bürgerschaft getragenes Engagement der Gemeinden ein. Auch die Programme zur Regionalentwicklung und Interkommunalen Zusammenarbeit sollen Bleibeperspektiven eröffnen und eine Solidarität der Teilräume fördern.

Literatur:

Silke Franke/Alois Glück/Holger Magel (Hrsg.), Gerechtigkeit für alle Regionen in Bayern (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 78) München Dez. 2011.

Anna Günther, Eine internationale Hochschule, mitten in der Provinz, in: Süddeutsche Zeitung vom 26./27.1.2019, Bayernteil.

Karl-Hermann Hübler, Die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen, in: Raumforschung und Raum­ordnung 1/2005, S. 55-62.

Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult, Ausschöpfung der Potenziale regionaler Wirtschaftskreisläufe. Zukunft bayerischen Regionen, Köln 2007.

Steffen Kröhnert u.a., Die Zukunft der Dörfer – zwischen Stabilität und demografischem Niedergang, Berlin 2011.

Kommunalwahlen - Wahlprogramme:

1946 wurden in Bayern erstmals kommunale Parlamente gewählt. Seit 1960 beträgt die Wahlperiode sechs Jahre. Die ersten Wahlprogramme zu Kommunalwahlen gab es erst 1972, 1978 und 1984. Bei ihnen handelte es sich um Kongressbeschlüsse der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV) der CSU. Seit 1990 werden eigene Kommunalwahlprogramme von der CSU veröffentlicht.

Kommunalwahl 11. Juni 1972:

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Kommunalwahl 5. März 1978:

zum Wahlprogramm

Kommunalwahl 18. März 1984:

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Kommunalwahl 18. März 1990:

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Kommunalwahl 10. März 1996:

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Kommunalwahl 3. März 2002:

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Kommunalwahl 2. März 2008:

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Kommunalwahlen - Termine und Ergebnisse:

Kommunalwahljahre:

CSU:

SPD:

FDP:

Grüne:

Sonstige:

28.04.1946/26.05.1946:

60,6%

28,0%

2,3

-,-%-,-%

25.04.1948/30.05.1948:

38,4%

23,3%

5,1

-,-%-,-%

30.03.1952:

26,9%

24,9%

3,4

-,-%

-,-%

18.03.1956:

35,0%

27,6%

2,7

-,-%

-,-%

27.03.1960:

37,3%

32,8%

2,3

-,-%

-,-%

13.03.1966:

40,0%

34,8%

2,8

-,-%

-,-%

11.06.1972:

45,6%

36,8%

1,8

-,-%

-,-%

05.03.1978:

53,0%

30,3%

2,8

-,-%

-,-%

18.03.1984:

49,1%

30,5%

2,2%

3,6%

14,6%

18.03.1990:

41,9%

28,4%

2,5%

5,4%

16,3%

10.03.1996:

43,1%

25,7%

1,6%

6,9%

20,3%

03.03.2002:

45,5%

25,1%

2,0%

5,7%

23,7%

02.03.2008:

40,0%

22,6%

3,8%

8,2%

29,2%

16.03.2014:

39,7%

20,7%

2,4%

10,2%

27,0%

15.03.2020:

34,5%

13,3%

2,9%

17,5%

31,8%