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Der Kopftuch-Streit lässt die Union nicht los

Mehrere Abgeordnete wollen ein Trageverbot an Schulen prüfen lassen. Der Beauftragte für Religionsfreiheit ist skeptisch.

Dieser Artikel schrieb Ricarda Breyton welt-Politikredakteurin. Vielen herzlichen Dank, dass wir ihn hier veröffentlichen dürfen.

Die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes lässt nur wenig Spielraum für Interpretationen: Ein generelles Kopftuchverbot an Schulen sei „verfassungsrechtlich wohl nicht zulässig“, heißt es in dem Gutachten, das die Informationsabteilung des Bundestags 2017 erstellte. Ein solches Verbot könne etwa das Grundrecht auf Religionsfreiheit oder das religiöse Erziehungsrecht der Eltern verletzen. Doch an eben dieser Auffassung rütteln nun einige Bundestagsabgeordnete der Union.

Nach WELT-Informationen trafen sich am Mittwochabend mehrere Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, um über ein „Kopftuchverbot an Schulen für Mädchen unter 14 Jahren“ zu diskutieren. Eingeladen hatten die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Carsten Linnemann und Thorsten Frei sowie der Berichterstatter für Religionsgemeinschaften, Christoph de Vries (alle CDU). „Uns als Initiatoren dieser Diskussion geht es darum“, teilt de Vries mit, „der Sexualisierung junger muslimischer Mädchen entgegenzuwirken und ihnen ein freies, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Aufwachsen in Deutschland zu ermöglichen.“ In diesem Ziel hätten „uns namhafte Islamwissenschaftler und Frauenrechtlerinnen, mit denen wir seit einiger Zeit im Gespräch sind, bestärkt“. Neben einer politischen Diskussion gehe es nun darum, „eine sorgfältige verfassungsrechtliche Einordnung des Themas“ vorzunehmen.

Die Initiative knüpft an ein neues Gesetz in Österreich an: Mitte Mai beschloss das Parlament in Wien, das Tragen von Kopftüchern an Grundschulen zu verbieten. Auch in Deutschland entspann sich eine Debatte – unter Beteiligung von Linnemann und de Vries. Das Kopftuch bei kleinen Mädchen sei „Symbol patriarchalischer Rollenbilder und Denkweisen, die mit der grundgesetzlich normierten Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutschland im Konflikt stehen“, sagte de Vries. „Wir haben schon viel zu lange zugeschaut“, sagte Linnemann. Nun geht es offensichtlich darum, den rechtlichen Handlungsspielraum des Bundes auszuloten.

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Dafür haben die drei Abgeordneten den Staatsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg mit einem Gutachten beauftragt. Dieses solle Klarheit bringen über die „konkurrierenden Grundrechtsgüter“. „Wir respektieren die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und das elterliche Erziehungsrecht“, sagte de Vries. Zugleich nehme man „das staatliche Wächteramt ernst, wenn es darum geht, für das Wohl junger muslimischer Mädchen und ein gleichberechtigtes Aufwachsen einzutreten“. Bis Herbst soll die Prüfung abgeschlossen sein, „um dann in der Fraktion die politische Diskussion zu beginnen“. Diese dürfte lebhaft ausfallen. Während sich die CDU-Abgeordnete Annette Widmann-Mauz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, bereits offen gezeigt hat für ein Verbot, sehen andere einen solchen Schritt skeptisch: Sie stellen sich die Frage, ob eine Partei, die sich für Familien stark macht, einen solchen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern befürworten sollte.

Zu den Unterstützern einer Prüfung gehört die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Sie stelle sich die Frage, „welche religiösen Gründe Kinder zum Tragen des Kopftuches verpflichten sollen“, sagte Winkelmeier-Becker WELT. Das Kopftuch sei zudem „nicht nur ein neutrales Zeichen religiöser Zugehörigkeit“, sondern auch Ausdruck eines ganz bestimmten Rollenverständnisses zwischen Mann und Frau. „Bereits bei Kindern eine solche Prägung in der Schule zuzulassen widerspricht meines Erachtens der Pflicht des Staates aus Artikel drei Absatz zwei Grundgesetz, aktiv für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einzutreten.“

Auch die Integrationsbeauftragte der Fraktion, Nina Warken (CDU), sieht Handlungsbedarf. Im „islamischen Kulturkreis“ sei es üblich, dass Mädchen erst ab der Pubertät ein Kopftuch tragen. „Nun wird über ein Kopftuchverbot in Deutschland diskutiert, weil sich muslimische Eltern anscheinend immer öfter dafür entscheiden, dass ihre Töchter bereits im Kindesalter ein Kopftuch tragen.“ Dies sei eine Entwicklung, die sie mit Sorge sehe. „Ein entsprechendes Verbot müsste sich allerdings an den hier widerstreitenden Grundrechtsgütern messen lassen. Das müssen wir sehr sorgfältig prüfen.“

Schon bislang können Schulen das Tragen von religiösen Symbolen zeitweilig untersagen, wenn es dadurch zu einer sogenannten Störung des Schulfriedens kommt. Der familienpolitische Sprecher der Fraktion, Marcus Weinberg, befürwortet diese Regelung. Es sei „nicht hinnehmbar, wenn kleine Mädchen gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen“, sagte der CDU-Politiker WELT. Schulen und Lehrer sollten außerdem die Eltern davon überzeugen, „dass ihre Kinder keine religiösen Symbole tragen müssen“. Ein grundsätzliches Verbot, wie es nun geprüft werden soll, sieht er aber skeptisch. „Für die deutsche Verfassung ist die Familie der Nukleus der Gesellschaft, der frei von staatlicher Überwachung und Verdächtigung zu bleiben hat“, sagte Weinberg. „Aus gutem Grund haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Familie unter besonderen Schutz gestellt und die Erziehung der Kinder als das natürliche Recht der Eltern festgeschrieben.“ Der Staat habe sich hier herauszuhalten – „es sei denn, das Kindeswohl ist durch die Erziehungsentscheidung der Eltern gefährdet“. Bei konkreten Hinweisen solle der Staat eingreifen, aber nur dann. „Nicht zu kurz kommen in dieser Debatte sollte auch, was es für das Kind bedeutet, wenn es vom Staat gegen seinen oder den Wunsch seiner Eltern gezwungen wird, kein Kopftuch zu tragen.“

Auch der Beauftragte der Bundesregierung für Religionsfreiheit, Markus Grübel (CDU), sieht den Vorstoß seiner Parteifreunde kritisch. „Wir sollten zunächst prüfen, ob es ein milderes Mittel als ein allgemeines Kopftuchverbot gibt“, sagt er WELT. Das Grundgesetz gewähre Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern. „Diese Verfassungsvorschriften sind eine sehr hohe Hürde, um Regelungen zu treffen.“ Zu berücksichtigen seien auch „Auswirkungen auf andere Religionen, beispielsweise für Jungen, die eine Kippa tragen“, sagte Grübel. „Ich habe auch die Sorge, dass in der Welt christliche Symbole verboten werden unter Hinweis auf ein Kopftuchverbot in Deutschland.“ Ziel sei es nun, Lehrerinnen und Lehrer „in der interkulturellen Kompetenz“ zu stärken, „um das Gespräch mit den Eltern führen zu können“. Er wolle prüfen, „ob eine Bundesmaßnahme zur Stärkung der Lehrerinnen und Lehrer“ möglich sei.