Ortsverband Ottensoos

Ansprache von Bürgermeister Klaus Falk

Volkstrauertag

Die Pandemie ist zwar immer noch nicht vorbei, aber nach Einschränkungen in den beiden Vorjahren ist heuer eine Durchführung von Gottesdiensten und Gedenkfeiern wie im Vor-Corona-Jahr 2019 ohne Begrenzungen möglich. Dafür bin ich sehr dankbar, und froh dass Sie, liebe Besucherinnen und Besucher an unserer Gedenkfeier teilnehmen, zu der ich Sie sehr herzlich begrüße.

Heuer, 2022, ist alles anders. Wir haben wieder einen Krieg in Europa. Das ist zwar nicht das erste Mal seit dem II. Weltkrieg, auch auf dem Balkan, im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gab es in den 90er Jahren Krieg.

Trotzdem ist die Situation diesmal eine völlig andere:

Mit dem völkerrechtswidrigen und durch nichts zu rechtfertigenden Angriff auf die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres hat der russische Präsident Wladimir Putin 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Europäische Friedensordnung tief erschüttert. Ein sorgfältig geplanter, durch perfide Propaganda mit vorbereiteter Angriff auf einen souveränen Staat in Europa - berauscht von imperialer Aggressivität, angetrieben vom Ressentiment gegenüber dem Zerfall der UdSSR und von der Ablehnung der westlichen Demokratien.

Die im Westen Jahrzehnte lang gepflegt Illusion vom „ewigen“ Frieden endete jäh an diesem Tag heuer im Februar.

Oder um es mit den Worten von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zu sagen: „Die Friedensdividende ist aufgezehrt“.

Und es gibt genügend weitere Konfliktherde, z. B. auch die Unruhen im Iran. Das Schema scheint immer das gleiche zu sein: Ein totalitäres Regime mit wenigen Autokraten und kleinen Eliten an der Spitze haben die Macht und unterdrücken die Bevölkerung. Begehen Verstöße gegen Menschenrechte und beuten nicht allzu selten auch das Land wirtschaftlich aus, bis Unruhen sich nicht mehr eindämmen lassen und wiederum Krieg ausbricht.

Alles zwecklos was wir hier tun, möchte man frustriert feststellen, was nutzen unsere ganzen Gedenkfeiern, das Erinnern und das Mahnen:

Wir, das Volk, die breite Masse haben wohl verstanden, um was es geht, und wir sind doch alle friedliebend. Aber es gab und gibt halt immer einige wenige Mächtige, die als Despoten ganze Länder und Völker ins Unglück stürzen, häufig auch ihr eigenes Land. Und das lässt sich auch nicht ändern!

Halt! Halt, muss ich Ihnen an dieser Stelle zurufen:

Auch diktatorische und autokratische Systeme sind nicht zwingend vorbestimmt. Sie finden sich dort, wo es keine Demokratien (mehr) gibt.

Sie stellen sich dort ein, wo es entweder schon immer patriarchalische Strukturen gab, oder die Demokratie solange unterwandert und ausgehöhlt wurde, bis sie wie eine leere Fruchthülle zerquetscht und beiseite geworfen werden konnte. Leider sind diese Entwicklungen nicht selten:

Ich denke z. B. an die Türkei, aber auch an die USA, China und könnte noch etliche weitere Beispiele anführen, ohne allzuweit gehen zu müssen: Polen, Ungarn sowie Italien mit der neuen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Demokratie zu stärken, mitzutragen und mitzugestalten, aktiv zu sein, das muss unser Handlungsansatz, unser Bestreben sein und nicht, uns darauf zu verlassen, dass das Andere, z. B. Berufspolitiker tun und dass alles schon irgendwie gut gehen wird.

Um dazu den Willen und die Kraft zu finden hilft es uns sehr, uns zu erinnern.

Das bedeutet, zunächst innezuhalten, um dieser Erinnerung in uns Raum zu schaffen, den sie in unserem häufig hektischen und mit Aktivitäten überfrachteten Alltag nicht hat.

Diese Möglichkeit verschafft uns der Volkstrauertag, als der gebotene Anlass schlechthin.

„An bedeutenden, historischen Gedenkanlässen mangelt es auch heuer nicht, insbesondere, wenn man auf Ereignisse zurückblickt, die sich heuer zum 80.ten Mal jähren.

Da ist als Teil des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte die sog. „Wannsee-Konferenz“ am 20. Januar 1942 in Berlin. Ihr Hauptzweck war es nicht, den Holocaust zu beschließen – diese Entscheidung war längst gefallen – sondern die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas in den Osten und deren systematische Vernichtung zu organisieren.

Am 23. August 1942 begann die Schlacht von Stalingrad. Am 22. November schloss sich der Ring der sowjetischen Truppen um die 6. Armee. 300.000 deutsche, italienische, ungarische und rumänische Soldaten wurden eingekesselt. Am 2. Februar 1943 war dort alles zu Ende. Die Kapitulation der 6. Armee gilt als Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges.

Anderer Schauplatz: Das Flächenbombardement von Lübeck durch die Royal Air Force in der Nacht zum Palmsonntag und der erste 1000-Bomber-Angriff auf Köln Ende Mai 1942 leiteten eine neue Phase im Luftkrieg gegen das Deutsche Reich und dessen Zivilbevölkerung ein.

Die ungeheuerlichen Ausmaße und Folgen des Zweiten Weltkrieges sind einzigartig in der Geschichte: Über 60 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte von Ihnen Zivilisten, verloren ihr Leben durch kriegerische Handlungen, Völkermord in Lagern, Bombenterror, Flucht, Vertreibung und Verschleppung.

Kaum eine Familie blieb von den Auswirkungen des Krieges verschont.“

Aus: „VOLKSBUND, Gedanken zum Volkstrauertag 2022, Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt“

Die Toten, erschossen und zerfetzt im Kampf, erfroren in eisiger Steppe, ertrunken im Atlantik, verhungert während der Belagerung, verdurstet in der Wüste Nordafrikas, verbrannt im nächtlichen Bombenhagel und heuer ganz besonders die Kriegstoten in der Ukraine, mahnen uns: Ihrer wollen wir heute besonders gedenken.

Totengedenken, offizieller Text (wurde 2020 von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier so überarbeitet):

Wir denken heute:

an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken:

der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,

die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,

die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern:

Um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer,

die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind. Wir gedenken der Opfer von Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

Wir trauern mit allen,

die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Ein häufig zitierter Satz lautet: „Geschichte wiederholt sich“

Aber nicht von selbst: Wir sind es, die sie wiederholen;

Wir sind es auch, die daraus ausbrechen, aber eben auch nicht von selbst“

Wir müssen mit unserer Einstellung und unserer Haltung in der politischen Mitte bleiben, nicht den Populisten, den Polarisierern und Demagogen hinterherlaufen, sondern ganz bewusst unseren eigenen Beitrag für Demokratie, Gesellschaft und Staat leisten und nicht ausschließlich fordern, dass der Staat alle unsere Probleme löst.

An der Stelle ist natürlich einzuräumen, dass Regierende, aktuelle wie verflossene, gerade das immer wieder gerne versprochen haben, von den Rechten und Ansprüchen der Bürger, die sie umfassend bedienen und befriedigen wollen. Gesprochen wurde aber höchst selten von unseren Bürger-Pflichten gegenüber der Gesellschaft und einem staatlichen Gemeinwesen und auch kaum von der Begrenztheit der staatlichen Möglichkeiten.

Schrauben wir also unsere Ansprüche, wenn es der Bewältigung der Krise(n) dient, und wenn es aus individueller Sicht geht, zurück, und handeln wir aktiv-demokratisch, indem wir uns ausgewogen und ausreichend informieren, demokratische Strukturen akzeptieren und durch unser Verhalten stärken.

Geschichte wiederholt sich:

Es liegt an uns, aus diesem Kreislauf aktiv auszubrechen.