Bernd Posselt

UdV-Rundbrief

Liebe Freunde und Landsleute,

unsere Union der Vertriebenen und Aussiedler (UdV) wird gerne als das gesamteuropäische, weit über die heutige EU hinauswirkende Gewissen der CSU bezeichnet. Wir sind nicht nur Bindeglied zwischen den Generationen, also jenen, die Vertreibung und Aussiedlerschicksal noch selbst erlebt haben, und den Nachgeborenen, die sich in diese Tradition stellen, sondern auch Brücke zwischen Ost und West, die zum Schaden aller wieder auseinanderzudriften drohen.

2020 ist es hundert Jahre her, daß der Versailler Vertrag in Kraft trat und seine Folgeverträge ausgehandelt wurden, über die Köpfe der Betroffenen hinweg, wie etwa der Vertrag von St.-Germain oder der von Trianon, dessen Gedenken wir am 4. Juni begehen. Künstliche Grenzen wurden gezogen, alte Nationalitätenprobleme nicht gelöst, sondern verschärft und zusätzliche hinzugefügt. Damals wurde der Zündstoff angehäuft, den dann die Menschheitsverbrecher Stalin und Hitler zur Explosion brachten. Dem bis dahin schrecklichsten und blutigsten militärischen Ringen, dem Ersten Weltkrieg, folgte der noch viel schlimmere Zweite.

Am 8./9. Mai werden wir den 75. Jahrestag seines Endes begehen. Dieses Datum ist gerade für uns Heimatvertriebene und Aussiedler äußerst zwiespältig. Einerseits endete das sinnlose Morden an den Fronten und im Hinterland, ebenso der Bombenkrieg gegen eine wehrlose Zivilbevölkerung. Das braune Verbrecherregime wurde gestürzt, die Konzentrationslager befreit und der Holocaust gestoppt. Andererseits begann für Millionen - darunter etwa 20 Millionen Deutsche - ein neuer Leidensweg. Ein Teil unserer Vorfahren beziehungsweise der Angehörigen unserer Erlebnisgeneration wurde bereits von Stalin und Hitler gewaltsam umgesiedelt. Schon vor Kriegsende setzten Flucht und Vertreibung ein, etwa in Ostpreußen und Südosteuropa. Die Deutschen aus Rußland und etliche Südostdeutsche traf es besonders hart - sie wurden nicht nach Westen, sondern weit nach Osten vertrieben oder verschleppt, zur Zwangsarbeit verurteilt oder in Lagern und Steppen dem sicheren Tod preisgegeben. Millionen von Menschen wurden im Zuge der Gesamtvertreibung getötet oder starben an deren Folgen. Auch diejenigen, die, meist mit Viehwaggons oder in vielfach zusammengebombten Trecks, das zerstörte Restdeutschland erreicht hatten, waren dort nicht gerade willkommen und mußten aus dem Nichts heraus neu anfangen.

An all das zu erinnern ist nicht nur erlaubt, sondern auch für künftige Generationen dringend notwendig. Heute gilt es aus unserer Geschichte die richtigen Lehren zu ziehen. Dies taten bereits fünf Jahre nach Kriegsende drei große christliche Staatsmänner, nämlich Konrad Adenauer in der Bundesrepublik Deutschland, Robert Schuman in Frankreich und Alcide de Gasperi in Italien. In diesem Zusammenhang muß auch der damals junge und für uns unvergeßliche Franz Josef Strauß genannt werden. Diese Christdemokraten der ersten Stunde waren glühende Europäer, weil sie durch Krieg und Grenzlandschicksal am eigenen Leib erlebt hatten, wie verheerend Nationalismus ist. Robert Schuman als in Luxemburg geborener französischer Außenminister lothringischer Herkunft, legte am 9. Mai 1950, also genau fünf Jahre nach Kriegsende, seinen Plan einer Kohle-und-Stahl-Gemeinschaft vor, der ausschließlich dem Versöhnungsgedanken diente und zum Ausgangspunkt der heutigen EU wurde. Sein Credo lautete, den, wie er einmal sagte, "feuergefährlichen Plunder nationalen Prestigedenkens" wegzuräumen und eine friedliche Gemeinschaft freier Völker zu errichten. Dafür wollte er nun "ein Europa der Tat" und nicht nur eines der großen Worte.

Dieser Lothringer hatte ebenso wie der Rheinländer Konrad Adenauer und der Trientiner Alcide de Gasperi verstanden, was der Gründer der Paneuropa-Union, Richard Graf Coudenhove-Kalergi aus Böhmen, bereits nach dem Ersten Weltkrieg artikuliert hatte: Grenzen dürfen innerhalb Europas nicht mehr blutig hin und her verschoben werden, meist mit Vertreibung und Zwangsassimilierung als Mitteln der Politik, sondern sie sind durch eine völkerüberwölbende Rechtsgemeinschaft sowie durch ein grenzüberschreitendes Volksgruppen- und Minderheitenrecht zu überwinden. Nur so läßt sich das gerade von uns immer wieder angemahnte Recht auf die Heimat verwirklichen, nur so kann die Zersplitterung unseres Erdteiles verhindert werden, durch die er zur Beute fremder Mächte würde.

Die aktuelle Krise zeigt uns, wie schmerzlich es ist, wenn wir plötzlich wieder von unserer Wurzelheimat abgeschnitten werden, auch wenn dies aus vernünftigen Gründen und auf Zeit geschieht. Die damit verbundenen Entwicklungen sollten uns wachrütteln und uns erneut bewußt machen, daß der Großteil unserer Arbeit noch nicht getan ist. Wir müssen gegen alte Unrechtsdekrete sowie den Ungeist der Vertreibung ebenso ankämpfen wie gegen neue zerstörerische Nationalismen. Die Arbeiten an einem europäischen Volksgruppen- und Minderheitenrecht, für das wir so viele Modelle entwickelt haben, sind erst ganz am Anfang.

Die nach wie vor in den Heimatgebieten lebenden deutschen Volksgruppen brauchen auch weiterhin unseren Rückhalt und unsere Solidarität. Wir sind ihre Stimme in Deutschland und auf EU-Ebene. Unsere östlichen Nachbarvölker, mit denen wir jahrhundertelang meist friedlich zusammengelebt haben, fühlen sich oft von vielen Westeuropäern ignoriert und wenig verstanden, weshalb unsere nicht nur sprachliche Dolmetscherfunktion für ein gutes Zusammenleben im Herzen und im Osten Europas unverzichtbar ist. Ohne unsere einzigartige Kultur, die wir pflegen und erneuern, wären Bayern, Deutschland und Europa unendlich viel ärmer.

Wir können uns aber nicht darauf beschränken. Die Rechtsgemeinschaft Europa braucht uns sowohl, wenn es gilt, fortwirkendes Unrecht aufzuarbeiten und zu bekämpfen, als auch bei der Aufgabe, die Entstehung neuen Unrechts zu verhindern. In diesem Sinne freue ich mich trotz der derzeitigen Einschränkungen, die vorübergehen werden, auf eine intensive UdV-Arbeit, für die der kommende 8./9. Mai so etwas wie einen Neustart markieren soll. 

Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und Ihre Mitarbeit. Ihr Rückhalt bedeutet uns im UdV-Landesvorstand sehr viel.

In herzlicher Verbundenheit

Ihr

Dr. h.c. Bernd Posselt, MdEP a.D.
Landesvorsitzender der Union
der Vertriebenen und Aussiedler (UdV) in der CSU