Optimierung der Notfallversorgung

GPA Aktuell

Aschaffenburg.

Er wird gebraucht. Weil er die notfallmedizinische Versorgung der Region am bayerischen Untermain deutlich verbessert. Weil in Wertheim das Akutkrankenhaus dicht gemacht wird. Weil bodengebundene Notarztdienste nicht besetzt werden können. Weil das Klinikum in Aschaffenburg eine bestmögliche Weiterversorgung garantiert. Und weil er fehlt, um junge Notfallmediziner leichter für einen Job an dieser Klinik zu begeistern. Aschaffenburg braucht einen Rettungshubschrauber.

Es gab keinen Widerspruch gegen diese Forderung an diesem Frühlingsfreitagsabend in einem viel zu kleinem Raum in der Aschaffenburger Stadthalle. Die örtliche CSU und ihr gesundheits- und pflegepolitischer Arbeitskreis hatten eingeladen zu einer Diskussion über Gegenwart und Zukunft der notfallmedizinischen Versorgung in der Region moderiert von Notarzt Daniel Merten. Gekommen waren fünf Experten aus der Region – und mehr als 100 Zuhörer darunter renommierte Ärzte aus Klinik und Praxis.

Einen wichtigen Punkt machte dabei Sebastian Lehotzki, Geschäftsführer des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau. Er sprach von einer „Hubschrauber Unterversorgung“ in der Region, einem „weißen Fleck“ in der Luftrettung. Hier gebe es erheblichen politischen Handlungsbedarf, sagte er mit Blick auf das bayerische Innenministerium als entscheidende Instanz Hardy Wenderoth, leitender Arzt im Zentrum für klinische Akut- und Notfallmedizin des Klinikums in Aschaffenburg, und Jörg Schäfer, ärztlicher Leiter Rettungsdienst am bayerischen Untermain, unterstützten dieses Anliegen ausdrücklich.

Ein gewichtiges Argument für einen neuen Rettungs-Helikopter in Aschaffenburg lieferte aus dem Publikum Gerhard Heimberger, der 45 Jahre Erfahrung als Rettungsassistent in der Notfallmedizin vorweisen kann. Er erinnerte daran, dass die fünf bodengebundenen Notarztstandorte in Stadt und Kreis Aschaffenburg und im Kreis Miltenberg regelmäßig nicht rund um die Uhr besetzt werden könnten.

Auch dieses patientengefährdende Defizit könnte mit einem Rettungshubschrauber gelindert werden.

 

Was funktioniert?

 

Bemerkenswert am Austausch der Experten untereinander und mit dem Publikum war am Freitagabend neben dem erwartbar hohen Niveau die Tatsache, dass berufsgruppenübergreifend miteinander statt übereinander gesprochen wurde – und das nicht gejammert sondern konstruktiv und voller Tatendrang um Lösungen gerungen worden ist.

Tatsächlich sei die Notfallversorgung in der Region auf einem vergleichsweise hohen Niveau angesiedelt, hieß es mehrfach. Klinikchef Lehotzki erinnerte daran, dass das Zentrum für klinische Akut- und Notfallmedizin am Klinikum eine „umfassende Notfallversorgung“ anbiete- und damit auf der höchsten Stufe arbeite, die man hierzulande überhaupt erreichen kann.

Joachim Lentzkow, Hausarzt in Goldbach und als regionaler Vorstandsbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns der Vertreter der niedergelassenen Ärzte auf dem Podium, zählte zuletzt erreichte Verbesserungen auf: Beispiele seine die gut funktionierende Bereitschaftspraxis am Klinikum, die ach viele Patienten aus dem benachbarten Hessen anziehe. Oder die in Bayern bereits praktizierende Vernetzung der der Notrufnummern 112 (für lebensbedrohliche Notfälle) und 116 117 (für anderen Akut Ereignisse, die nicht lebensbedrohlich sind). Er erläuterte, dass 95 Prozent der Bürger in Bayern innerhalb von 30 Minuten eine KVB Bereitschaftspraxis erreichen können.

Der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes Jörg Schäfer hatte ebenfalls gute Nachrichten dabei: Die Kapazitäten im fahrenden Rettungsdienst würden dieses Jahr am Untermain um fast 30% ausgebaut, um unstrittige Versorgungslücken für die 380.000 Menschen in der Region zu schließen.

Wo klemmt’s?

 

Trotz dieser guten Nachrichten bleiben erhebliche Probleme in der Notfallmedizin – etliche davon sprachen Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum an: Defizite im Austausch zwischen ambulanter und stationäre, die sich in widerholten Untersuchungen ausdrücken, ewig lange Wartezeiten bei Anrufen auf der 116 117, ein gravierender Fachkräftemangel, eine schlechte Steuerung der Patienten hin zum passenden Behandler.

Ein Riesenproblem ist die strukturelle Unterfinanzierung der Notfallmedizin in den Krankenhäusern. Klinikchef Lehotzki hatte dazu Zahlen parat: Für einen Notfallpatienten, der die Notaufnahme nach ambulanter Behandlung verlassen kann, erhalte sein Haus durchschnittlich rund 30 Euro – die Kosten lägen für diesen Fall aber bei 150 Euro. Die Folge: Die Notfallversorgung für Erwachsene trage etwas 3,5 Millionen Euro pro Jahr zum Klinikdefizit bei, dazu kommen weitere 500.000 Euro Defizit durch Kindernotfälle.

 

Wie geht’s besser?

 

Neue kreative Ideen könnten in naher Zukunft einen erheblichen Beitrag leisten, um nicht vorhandene und sich in einer älter werdenden Gesellschaft zu verschärfende Probleme zu bekämpfen. Mehrere Beispiele wurden genannt:

  • In Rosenheim läuft das Pilotprojekt einen „gemeinsamen Tresens“, für KVB-Bereitschaftspraxis und Notaufnahme des Krankenhauses. Dort werden die Patienten von Fachkräften gesichtet und zum passenden Behandler weitergeleitet.
  • Das Projekt „Tele-Notarzt“ das laut Jörg Schäfer bis zum Jahresende in Ostbayern starten soll, eröffnet neuen Chancen. Moderne digitale Telemedizin könnte ein Baustein zur Entlastung des knappen Personals sein.
  • Erprobt werde in Bayern außerdem ein sogenanntes „Rettungseinsatzfahrzeug“. Das sei ein Pkw mit dem ein Notfallsanitäter zu bestimmten Einsätzen allein fahre, um den jeweiligen Fall abzuklären und unnötige Einsatzressourcen zu vermeiden
  • Über digitale Plattformen könnten Arztpraxen zu ihren normalen Öffnungszeiten ihre Bereitschaft hinterlegen, Notfallpatienten zu übernehmen, wenn diese ambulant behandelbar sind und keine klinische Notaufnahme brauchen.

 

Was geht gar nicht?

 

Heinz Heeg, stellvertretender Landesvorsitzender des Sozialverbands VdK, warnte als Patientenvertreter auf dem Podium vor einer Überforderung der Patienten, die als Laien gar nicht wissen könnten, was die passende Anlaufstelle im jeweiligen Einzelfall sei. Wer Patienten gezielt steuern wolle, müsse dafür niederschwellig und gut erreichbare Strukturen schaffen. Eine Absage erteilte Heeg der Idee einer „Notfallgebühr“ einer Art Eintrittsgeld für Notaufnahmen – denn damit entstünde eine soziale Spaltung. Wiederspruch erntete Heeg für diese These von einem Arzt aus dem Publikum.

Klinikchef Sebastian Lehotzki sprach die zunehmende Gewaltbereitschaft – verbal und körperlich – gegen Einsatzkräfte und Mitarbeiter in Klinik-Notaufnahmen an. Sein Haus habe deshalb den Kontakt zur Polizei intensiviert. Dazu gab es am Freitagabend keine zwei Meinungen: Gewalt gegen jede Art von Helfern – das geht gar nicht.