Kreisverband Ingolstadt

Stadtratsantrag

Viktualienmarkt – Aufwertung der Erinnerungskultur

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

die CSU-Stadtratsfraktion beantragt, dass die Stadt Ingolstadt mit konkreten Maßnahmen den sogenannten Viktualienmarkt auch hinsichtlich der Erinnerungskultur aufwertet und damit die herausragende Bedeutung des Platzes für die Stadtgeschichte angemessen würdigt.

Begründung:

Seit Jahren wird über eine Aufwertung des sogenannten Viktualienmarkts in Ingolstadt diskutiert. Neben städtebaulich notwendigen Maßnahmen, die zu einer Neugestaltung und Verschönerung des Platzes eingeleitet und ergriffen werden müssen, gehört dazu unabdingbar auch eine Aufwertung in erinnerungskultureller Hinsicht:

Immer wieder wird ja zurecht die große und reiche Ingolstädter Geschichte – gerade im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Belebung der Innenstadt – betont, doch die historische Bedeutung dieses zentralen Platzes wird dabei leider allzu oft vergessen. Angesichts der Platzgestaltung ist dies aber auch kein Wunder: die Pflasterung, die an die Augustinerkirche erinnern soll, ist genauso wenig im Bewusstsein der Menschen verankert wie die Glasvitrine mit Objekten aus der verbrannten Kirche. Ebenso wird die jüdische Geschichte des Platzes fast vollständig unterschlagen. An dieser Stelle war im ausgehenden Mittelalter für ca. 200 Jahre lang das Ingolstädter „Judenviertel“ mit Synagoge. Im Zuge der Pest-Pogrome (1348/49) wurde die jüdische Gemeinde erstmals aus Ingolstadt vertrieben, wenige Jahre später allerdings wieder zurückgeholt. 1384 floh die Gemeinde jedoch erneut. In dem nun leerstehenden Viertel errichtete die Stadt 1397 eine christliche Kapelle, zu der auch eine Marienfigur, die „Schuttermutter“, gehörte, das Werk eines unbekannten Bildhauers des 14. Jahrhunderts. Der Legende nach hatten jüdische Frevler die besagte „Schuttermutter“ geraubt, ihr den Kopf abgesägt und die beiden Teile in die Donau geworfen. Rumpf und Kopf aber schwammen die Donau aufwärts in die Schutter, wo sie geborgen und wieder zusammengesetzt wurden. Aus dieser Legende und aus der angeblich wundertätigen Marienfigur entwickelte sich eine rege Wallfahrt und eine antijüdisch grundierte Volksfrömmigkeit. Bald schon wurde die Kapelle zu klein und man errichtete auf dem heutigen Platz das Franziskanerkloster mit der sogenannten Augustinerkirche. Deren Deckenfresko zeigte bis zu ihrer Zerstörung 1945 die Legende um die Figur der „Schuttermutter“, die tatsächlich auch den Bombenangriff weitgehend unversehrt überstanden hatte und heute in der Franziskanerkirche steht.

Nicht nur hinsichtlich der jüdischen Geschichte, sondern auch architekturhistorisch ist dieser Platz mit der von Johann Michael Fischer errichteten und heute nicht mehr erhaltenen Kirche von großer Bedeutung. Judenhass paarte sich hier mit Volksfrömmigkeit – beides hat dann in der bedeutenden Rokokokirche einen sichtbaren Ausdruck gefunden.

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde die Kirche zum Grab für über 70 Menschen, die dort Schutz vor dem Luftangriff am 9. April 1945 gesucht hatten. Mit Beschluss des Stadtrates von 1950 wurden die Überreste der Kirche jedoch beseitigt und der leere Platz zum Parkplatz degradiert.

Heute ist der sog. Viktualienmarkt mit seinen Buden ein durchaus beliebter Treffpunkt für Menschen der verschiedensten Schichten und Klassen: Mit dem Wochenmarkt zusammen gehört dieser Platz zu den wichtigen gesellschaftlichen Schnittstellen der Stadt.

Umso unverständlicher ist es daher, dass diesem in vielerlei Hinsicht – historisch, gesellschaftlich, städtebaulich – herausragenden Platz so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Die CSU-Stadtratsfraktion beantragt daher die Aufwertung des Viktualienmarktes nicht nur in optischer Hinsicht, sondern auch durch geeignete Hinweise und Gestaltungsmerkmale in historisch- erinnerungskultureller Hinsicht. Dieser Platz gehört ganz wesentlich zur Geschichte und zur Identität dieser Stadt – mit all ihren Höhepunkten und Tragödien. Wenn wir Erinnerung und Geschichte, Tradition und Kultur ernstnehmen wollen, müssen wir in besonderer Weise der Ambivalenz und der Bedeutung dieses Platzes gerecht werden.

Für die CSU-Stadtratsfraktion

gez. Dr. Matthias Schickel
Ausschusssprecher