Interview mit der SZ

Die Parallelen von Eistanz und Politik

Frage: Herr Blume, können Sie heute noch einen Lutz springen?

Markus Blume: Ach ja, der Lutz geht immer. Einfach gesprungen geht alles.

Frage: Und der Twizzle? Auf einem Bein drehen, die hohe Schule der Eistänzer?

Markus Blume: Klar! Die Bewegungsabläufe sind einfach da. Das Erstaunliche ist, man verlernt es nicht. Man stellt sich aufs Eis und alles kommt wieder. Eine Sache, die man 15 Jahre lang jeden Tag gemacht hat, ist im Kopf hart verkabelt. Aber natürlich wird man mit dem Alter vorsichtiger.

Frage: Was sagen denn Ihre Kinder, wenn Sie beim Publikumslauf Ihre Show abziehen? Papa, lass das?

Markus Blume: Meine Kinder finden manche Dinge, die ich zum Beispiel bei TikTok mache, „cringe“, wie die Jugend heute sagt. Auf dem Eis habe ich das noch nie gehört. Da spüre ich ehrlichen Respekt.

Frage: Was war der Höhepunkt Ihrer 15 Jahre als Eistänzer?

Markus Blume: Die Junioren-Weltmeisterschaft 1994 in Colorado Springs. Für meine Schwester und mich war das die große, weite Welt, ein ganz tolles Erlebnis. Wir sind zwar, in Anführungszeichen, nur Dreizehnte geworden. Aber sich mit den Besten messen zu können und diese Atmosphäre aufzusaugen, ist unbeschreiblich. Damals nach dem Ende der Sowjetunion traten plötzlich viele exzellente Eisläufer an. Vorher hatten die Sowjets bloß drei Startplätze, dann konnte jeder einzelne Nachfolgestaat drei Läufer bzw. Paare schicken.

Frage: Schauen Sie heute noch Eiskunstlauf so wie andere Champions League?

Markus Blume: Nicht mehr mit der Intensität wie früher. Aber die absoluten Höhepunkte brennen sich ein, ich denke an die Olympiakür der deutschen Paarlaufsieger Aljona Savchenko und Bruno Massot 2018. Da habe ich immer noch Gänsehaut, das war ein Moment, in dem die Grenzen dieses Sports verschoben wurden.

Frage: Mit wem können Sie solche Momente teilen? Die versteht ja wahrscheinlich nicht jeder.

Markus Blume: Meine Kinder haben beide eine gewisse Eislaufbegeisterung. Aber den Goldlauf von Savchenko/Massot habe ich tatsächlich nur für mich angeschaut. Das war ja auch mitten in der Nacht. Kann sein, dass ich meiner Schwester eine Whatsapp geschrieben habe. Es nimmt dem Sport jedenfalls nichts von seiner Schönheit, dass es anders als im Fußball keine 82 Millionen Bundestrainer gibt.

Frage: Ist es erfolgsversprechend, wenn Sie am CSU-Stammtisch die Diskussion elegant auf das Thema Eistanz lenken?

Markus Blume: Als ich 2018 zum Generalsekretär berufen wurde, haben schon ein paar Parteifreunde gesagt: Wenn schon Eissport, dann bitte Eishockey. Das würde angeblich der klassischen Rolle des Generalsekretärs besser gerecht werden. Ich glaube ja, dass ein Generalsekretär auch mit filigraneren Instrumenten vertraut sein sollte. Da passt Eiskunstlauf dann wieder.

Frage: Für große Gefühle bietet die Politik aber eher wenig Raum.

Markus Blume: Ich habe in der Politik zumindest noch keine Tränenecke gesehen wie im Eiskunstlauf.

Frage: Nach der desaströsen Bundestagswahl wäre die CSU in der Tränenecke gut aufgehoben.

Markus Blume: Überhaupt nicht. Die CSU wird auch künftig bayerische Interessen in Berlin vertreten, erst mal halt aus der Opposition heraus. Und 2023 ist Landtagswahl in Bayern. Da gilt die alte Fußballweisheit von Oliver Kahn: Weiter, immer weiter! Aufgeben gibt’s nicht. Wenn du mal stürzt, kannst du nicht einfach von der Bahn gehen. Du musst weiterlaufen und weiterkämpfen.

Frage: Ihre Parteifreunde Markus Söder und Edmund Stoiber sprechen ja sehr gern Fußball-Deutsch. Bei Ihnen haben wir jetzt den zaghaften Ansatz einer Eistanz-Metapher gehört. Geht da noch mehr?

Markus Blume: Ich arbeite dran. (lacht) Die CSU ist eben auch da eine Volkspartei: Alle Sportarten haben ihren Platz.

Frage: Ihre Sportart ist allerdings schon eher untypisch. Ihr Vorgänger als Generalsekretär, Andreas Scheuer, hat Basketball gespielt. Alexander Dobrindt war Schützenkönig. Was sagt ein Sport über die Politikerpersönlichkeit aus?

Markus Blume: Vor allem sieht man, dass jede Zeit ihre Typen hat. Es gibt in der Politik auch unterschiedliche Einsatzfelder, auf denen unterschiedliche Fähigkeiten gefragt sind. Mal muss man einen Korb reinmachen, mal muss man ins Schwarze treffen. Und dann gibt es eine Zeit, da sind Haltung und Balance gefragt.

Frage: Das ging schnell mit dem nächsten Eistanz-Bild. Wo genau wollen Sie das Gleichgewicht halten?

Markus Blume: Wir leben in bewegten Zeiten, in denen es manchmal keine Schwarz-Weiß-Lösung gibt, keine hundertprozentig richtige oder falsche Antwort. Gerade in einer Volkspartei kann die beste Antwort auch mal ein „sowohl als auch“ sein. Wir wollen das Klima schützen und unsere starke Wirtschaft erhalten. Da kommt es entscheidend auf die Balance an.

Frage: Was haben Sie im Leistungssport noch gelernt, was Ihnen heute in der Politik hilft?

Markus Blume: Auch unter größtem Druck Ruhe zu bewahren. Und dass jede Sache zwei Seiten hat. Richtig in der Sache und richtig im Stil: Das sind zwei Dinge. Beim Eiskunstlauf gab es früher die A- und die B-Note – die eine für die Technik, die andere für den Stil. In der Politik kommt es nicht nur darauf an, in der Sache richtig zu liegen, man muss es auch angemessen rüberbringen. Da fallen Stilfragen manchmal mehr ins Gewicht als Sachfragen.

Frage: Wenn Sie auf den Asylstreit 2018 zurückschauen: Würden Sie sich und der CSU da im Nachhinein schlechte Stilnoten geben?

Markus Blume: An manchen Stellen schon. Wir haben zu lange gebraucht, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass man die AfD weder ignorieren noch übertönen kann. Markus Söder und ich haben aus dem Landtagswahlkampf 2018 die feste Überzeugung gezogen: Die CSU darf nie wieder in eine solche Situation kommen. Wir haben uns damals ganz klar positioniert: knallharte Abgrenzung zur AfD. Diese Partei ist Gift für Deutschland und hat in den Parlamenten nichts zu suchen.

Frage: 2018 haben Sie auch gesagt, die Kritiker von Söders Kreuzerlass wären eine „unheilige Allianz von Religionsfeinden und Selbstverleugnern“. Wollten Sie da Ihr feingeistiges Eistänzer-Image loswerden?

Markus Blume: Dass ich im Amt des Generalsekretärs angekommen bin, wusste ich, als die SZ schrieb: Der Blume klingt genauso wie der Scheuer und der Dobrindt. (lacht)

Frage: Da wir gerade bei Stilfragen sind: Wie würden Sie den Paarlauf von Söder und Armin Laschet im Bundestagswahlkampf benoten?

Markus Blume: Bei mir hakt gerade das Kopfkino… Ein Bundestagswahlkampf ist vieles, aber ganz sicher kein Paarlaufwettbewerb. Ich denke, hier kommen wir an die Grenzen der Eislaufmetaphern (lacht).

Frage: Als Eistänzer sind Sie subjektive, harte Bewertungen gewohnt. Ihr Parteifreund Peter Ramsauer hat kürzlich über den Bundestagswahlkampf der CSU gesagt: „Der Parteivorsitzende selbst musste dann auch das aufschlecken, was Blume da hingespuckt hatte.“ Können Sie so was wegstecken?

Markus Blume: Wie Sie sehen: Das kann ich. Ich habe früher im Sommer immer Rollkunstlauf gemacht, da holst du dir blaue Flecken, die mehr als ein Jahr bleiben. Das hat weh getan. Zurufe von der Tribüne tun nicht weh.

Frage: Wie sind Sie überhaupt zum Schlittschuhlaufen gekommen?

Markus Blume: Das hat genauso harmlos angefangen wie die Politik. Meine Eltern haben meine Schwester und mich ein, zwei Mal die Woche in Ottobrunn ins Eisstadion gefahren. Irgendwann hat es so viel Spaß gemacht, dass wir drei, vier Mal die Woche trainiert haben. Dann kamen die ersten Erfolge und damit der Ehrgeiz.

Frage: Warum Eistanz, der weit mehr als der Paarlauf auf Ausdruck und Wirkung zielt?

Markus Blume: Das hat sich so ergeben. Vielleicht auch, weil ich als Kind schon sehr groß gewachsen war. Da hat man es bei den technischen Anforderungen im Paarlauf einfach schwerer.

Frage: Wenn Sie heute als Politiker auf großer Bühne stehen, haben Sie da noch Lampenfieber – oder haben Sie das auf dem Eis für immer abgelegt?

Markus Blume: Beim ersten Mal gibt es immer eine positive Anspannung, bei der ersten Rede im Landtag zum Beispiel. Oder im Bierzelt. Da stehst du oben, es ist schwül und laut, du glaubst, es hört dir niemand zu, aber du musst dich überwinden und die Sache durchziehen. Wer behauptet, da nicht aufgeregt zu sein, sagt wahrscheinlich nicht die Wahrheit. Oder beim Politischen Aschermittwoch in Passau: Da sind gefühlt 10.000 Leute in der Halle, das ist quasi das Olympia der CSU.

Frage: Denken Sie manchmal vor dem Fernseher beim echten Olympia: Da hätte ich auch dabei sein können. Pyoengchang statt Passau?

Markus Blume: Man muss um seine Möglichkeiten wissen. Ich hatte im Alter von zwanzig viele Jahre hartes Training hinter mir, voller Entbehrungen in anderen Lebensbereichen. Mir war klar, dass noch einige weitere solche Jahre hätten folgen müssen, um mein Potenzial auszureizen. Und selbst dann hätten alle Sterne günstig stehen müssen für einen wirklich großen Erfolg. Das gab den Ausschlag, zu sagen: Es war ein toller Lebensabschnitt, aber jetzt kommt das Physikstudium. Und bald kam dann auch die Politik dazu, ich hatte ja plötzlich Zeit dafür.

Frage: Sport und Politik sind oft schwer zu trennen. Mehrere Staaten des Westens haben wegen der Menschenrechtslage in China einen diplomatischen Boykott der Winterspiele in Peking im Februar angekündigt. Sind Sie dafür oder dagegen?

Markus Blume: Sport sollte kein Instrument der Politik sein. Aber Olympische Spiele sind natürlich immer auch ein politisches Ereignis. Ich will – Achtung, Fußballbild – den Ball mal dahin spielen, wo er hingehört: Es ist Aufgabe des Bundeskanzlers und der Außenministerin zu entscheiden, ob Vertreter der neuen Bundesregierung nach Peking reisen oder nicht. Die Ampel hat sich ja ein theoretisch ambitioniertes Programm gegeben, was Menschenrechtsverstöße angeht. Wir erwarten, dass daraus nun eine praktische Linie folgt, die für Peking, aber auch für künftige Großereignisse gilt.

Frage: Manche Athletinnen und Athleten fahren mit großem Unbehagen zu den Spielen nach China. Wie würde es Ihnen gehen?

Markus Blume: Ich kann mir eine gewisse Zerrissenheit gut ausmalen. Da wird Vorfreude sein, aber ich verstehe auch jeden, der mit Bauchgrimmen hinfährt. Einerseits haben sich die Athleten jahrelang auf Olympia vorbereitet, für viele dürfte es der Karrierehöhepunkt sein. Anderseits sind die politischen Umstände zweifellos bedrückend. Das lässt doch keinen unberührt, wenn etwa eine chinesische Tennisspielerin einfach verschwindet.

Frage: Kommt ein autoritäres Regime, das ein Großereignis ausrichtet, am Ende nicht immer gut weg? Sollte das IOC Olympische Spiele – oder auch die Fifa die Fußball-WM – nur noch an Demokratien vergeben?

Markus Blume: Klar ist: Bei den Menschenrechten darf es keinen Freifahrtschein für Ausrichterländer geben. Ich wünsche mir, dass die Sportorganisationen zu einem klaren und transparenten Kriterienkatalog finden, der ihre Entscheidungen nachvollziehbarer macht. Wahrscheinlich würden sie sich dann auch öfter gegen den Kommerz entscheiden.

Frage: Die Fußball-WM 2022 findet in Katar statt, wo sich Arbeitsmigranten mitunter zu Tode schuften müssen. Der FC Bayern München macht Geschäfte mit Katar. Wünschten Sie sich, der Klub hätte einen anderen Sponsor?

Markus Blume: Ich bin seit vielen Jahren Mitglied des FC Bayern. Ich war nicht bei der letzten Jahreshauptversammlung, aber ich habe die Debatten über das Thema Katar mit Interesse verfolgt. Ich denke, das ist eine politische Frage, der sich der FC Bayern stellen muss. Der FC Bayern ist nicht irgendein Verein, er besitzt ein besonderes Maß an Reputation, er ist in der ganzen Welt zuhause und ein globales Aushängeschild für unser Land.

Frage: War es falsch von der Vereinsführung, das Thema Katar bei der Jahreshauptversammlung nicht auf die Tagesordnung zu setzen?

Markus Blume: Das ist allein Sache der Vereinsführung. Jetzt sagen Sie wahrscheinlich: Der dreht eine rhetorische Pirouette. Trotzdem: Es ist nicht an mir, dem Klub Ratschläge zu erteilen. 

Frage: Wenn Sie bei der Versammlung gewesen wären und es wäre abgestimmt worden: Hätte das Bayern-Mitglied Blume für eine schnellstmögliche Beendigung des Sponsorings gestimmt?

Markus Blume: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es viele Unternehmen gibt, die gerne Partner des FC Bayern wären und viel Geld für ihr Logo auf dem Trikot zahlen würden. Insofern gibt es zu jeder Möglichkeit immer auch eine Alternative. Wenn man die Alternative kennt, kann man darüber diskutieren. War das wieder eine Pirouette?

Frage: Und was für eine, uns ist schon ganz schwindlig.

Markus Blume: Es ist eine wichtige Tugend in der Politik, dass einem nicht schwindlig wird. Das Kunststück bei der Pirouette ist ja, dass du trotzdem den Fokus behältst und nicht überrascht bist, wo du am Ende rauskommst. Das gilt in der Politik genauso: Wenn man etwas anfängt, sollte man ungefähr wissen, wo man rauskommt.

Frage: In der Politik ist die Pirouette allerdings nicht ganz so hoch angesehen wie im Eiskunstlauf.

Markus Blume: Aber auch dort ist sie zulässig. Mir wird die politische Pirouette zu stark diskreditiert - ich spreche jetzt von der politischen Pirouette im Sinn einer Meinungsänderung. Die ruft immer Empörung hervor. Dabei ist es schlicht notwendig, eine Position zu verändern, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern. Der schlimmste Fehler wäre doch, an einer alten Position festzuhalten, die man in einem neuen Kontext für falsch hält. Nehmen wir das Thema Impfpflicht: Wenn man mit milderen Mitteln nicht zum Ziel kommt, dann ist es doch notwendig, auch über andere Wege nachzudenken.

Frage: Sollten Sportler gesellschaftliche Vorbilder beim Impfen sein?

Markus Blume: Sportler haben zweifellos eine Wirkung in der Gesellschaft. Viele sind auch Stars in den sozialen Netzwerken. Ihre Reichweite und ihre Glaubwürdigkeit für gesellschaftliche Anliegen einzusetzen – das ist ein unglaublich großer Schatz. Es gibt da keine Pflicht, aber ich würde mir wünschen, dass noch mehr Sportler diese Möglichkeit nutzen und um ihre Vorbildfunktion wissen.

Frage: Das Zögern von Joshua Kimmich und vier anderen Bayern-Spielern bei der Impfung war also nicht hilfreich?

Markus Blume: Joshua Kimmich nennt das inzwischen ja selbst einen Fehler. Ich bin froh und dankbar, dass er nach seiner Corona-Infektion angekündigt hat, sich impfen zu lassen. Da sollte es jetzt auch kein Nachkarten geben – es muss erlaubt sein, dass Menschen dazulernen. Corona kann auch junge durchtrainierte Profis treffen, niemand ist vor ernsten Folgen gefeit. Es ist wichtig, dass die Menschen das wissen. Dazu hat der Fall Kimmich vielleicht beigetragen.

Frage: Wieviel Sport treiben sie heute noch? Annalena Baerbock war Trampolinspringerin und hat mal erzählt, dass sie auch als Politikerin noch gern ein paar Sprünge macht, abends zum Stressabbau. Ist Eiskunstlauf für Sie auch ein Ventil?

Markus Blume: Das war es früher auf jeden Fall. Da habe ich mich richtig ausgepowert. Inzwischen habe ich mit dem Joggen angefangen, obwohl ich das immer extrem langweilig fand. Aber ich merke, es tut mir gut.

Frage: In der Pandemie waren viele Sportstätten lange gesperrt, auch Eishallen. War das ein Fehler?

Markus Blume: Im Nachhinein lässt sich da immer leicht reden. In der Sache bleibt vieles schwer zu beurteilen. Fest steht: Die pandemische Situation im Winter 2021 ist eine andere als im Winter 2020. Deshalb ist derzeit auch im Sport mehr möglich. Aber gleichzeitig steht bei Corona immer alles auch unter Vorbehalt: Wir wissen noch nicht, wie gefährlich die Omikron-Welle wird.

Frage: Ihr Parteichef Markus Söder ist ein ambitionierter Tennisspieler. Was würde rauskommen, wenn Sie gegen ihn antreten?

Markus Blume: Er wäre wahrscheinlich überrascht, dass ich doch den einen oder anderen Ball treffe. Gnade würde ich mir aber keine warten. Ich tippe, dass ich mit einer klaren 0:6 und 0:6-Niederlage vom Platz gehen würde.