75 Jahre CSU

Der ewige Mythos CSU – wie’s wirklich ist

In Bayern gibt es die Redensart: Es wird nirgends so viel gelogen wie vor der Hochzeit, bei der Beerdigung und nach der Jagd. Im Umkehrschluss muss das bedeuten, dass beim Jubiläum einer Partei, noch dazu beim 75-jährigen der CSU, wohl vor allem die Wahrheit gesprochen und geschrieben wird. Eine Offenbarung gleich vorweg: Nein, wir sind keine Heiligen und wollen es auch nicht werden. Was wir dagegen ganz sicher sind: eine einzigartige politische Gemeinschaft, die die bayerische Urgewalt mit der Idee der modernen Volkspartei verbindet. Aber wieviel Mythos steckt in der CSU? Lassen Sie uns dazu – streng vertraulich – einen kleinen Blick in das Handbuch für CSU-Generalsekretäre werfen:

Vom richtigen Maß Weihrauch: Tradition leben, ohne die Zukunft zu schwärzen

Wir konkurrieren nicht um den Titel der traditionsreichsten Partei Deutschlands – zumindest diesen Erfolg lassen wir der SPD gerne. Aber die CSU ist sicherlich die traditionsstärkste. Zum Traditionsbestand des Freistaats gehöre die CSU, sagen die einen (stimmt wohl). „Laptop und Lederhose“ hätte die CSU als ultimative Traditionsformel erfunden, mutmaßen die nächsten (stimmt gefühlt, tatsächlich war es Bundespräsident Roman Herzog). Bei der Verehrung ihrer Vorväter wie Franz Josef Strauß könne es die CSU locker mit der Heiligenverehrung in der katholischen Kirche aufnehmen, provozieren schließlich andere (stimmt nur, soweit es nicht bösartig oder gar blasphemisch vorgetragen wird). Wahrer Kern ist sicherlich, dass wir sehr bewusst aus unserer Geschichte heraus leben und mit dem notwendigen Weihrauch nicht geizen. Nur übertreiben sollte man es eben nicht– wer will schon geschwärzte Heilige oder eine vernebelte Zukunft?

Die Prägekraft einer Gleichung: Wie Bayern und die CSU eins werden konnten

Wir sind Bayern. Damit ist in diesem Kapitel eigentlich schon alles gesagt. Die CSU trägt Bayern nicht nur im Namen, sondern auch im Herzen. Das klingt für Menschen, die nicht mit christsozialer Muttermilch großgezogen wurden, nach viel Pathos – dabei ist es noch mehr Praxis: Die CSU hat immer für das Land, nie vom Land gelebt. In mehr als sechs Jahrzehnten ununterbrochener Regierungszeit wurde so das moderne Bayern durch die CSU geprägt. Der Mythos Bayern – diese Melange aus kulturlandschaftlicher Schönheit, ökonomischer Potenz und bajuwarischem Mia-san-mia-Selbstbewusstsein – wurde auch zum Mythos CSU. Richtig rund wurde die Geschichte von der Gleichung Bayern = CSU aber erst durch die bayerische Opposition, die politische wie die journalistische. Ganz ehrlich: Wir hätten uns nie getraut zu behaupten, dass wir den Chiemsee ausgehoben, damit die Alpen aufgeschüttet und nebenbei noch den Himmel weiß-blau angemalt haben. Aber wenn wir dafür schon kritisiert werden, … – dann kann man’s auch einfach mal so stehen lassen.

Die Idee der Union: Wenn’s mal länger dauert, aber immer richtig ist

Der Gedanke war nach dem Scheitern der Weimarer Republik, den Schrecknissen des Nationalsozialismus und dem politischen Neuanfang 1945 bestechend: Nie mehr darf konfessionelle Spaltung zu politischer Spaltung führen. Eine Partei aller Christen sollte es sein, darum der Name Union. Wenn man in der 75-jährigen Geschichte der CSU die große Vokabel des Politischen sucht, dann heißt sie: Integrationskraft. Gut, manches hat dann länger gedauert: Die Protestanten in der CSU brachten Jahrzehnte in der Diaspora zu – bis spätestens mit Markus Söder als Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden eine konfessionelle Unaufgeregtheit Einzug gehalten hat. Die Kraft der CSU als Sammlungsbewegung, als Volkspartei, als politische Klammer des Landes ist in jedem Fall unbändig. Gläubige und Agnostiker, Unternehmer wie Arbeitnehmer, vom alteingesessenen Dorfbewohner bis zum kosmopolitischen Großstädter: Sie alle bringt die CSU zusammen. Einheit in Vielfalt, das ist ein ziemlich buntes weiß-blau. Und selbst mit den Franken läuft’s inzwischen recht harmonisch; aber da sorgt auch der Parteivorsitzende höchstselbst dafür. 

Näher am Menschen: Warum Pragmatismus ein gutbürgerliches Programm ist

Man hat der CSU über 75 Jahre hinweg vieles nachgesagt. Mangelnde Grundsatztreue war eher selten darunter. Prinzipientreu zu sein, ohne ideologisch zu werden – das konnte in der Praxis aber nur funktionieren, weil Strauß einen klugen Verfahrenshinweis gab: Man solle die Grundsätze immer so hoch hängen, dass man bequem unten durch kann. Bevor die Spürhunde der reinen Lehre hier Opportunismus anschlagen, schnell eine kleine Interpretationshilfe von Horst Seehofer: Politik beginne mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Wir sehen die Welt, wie sie ist und nicht, wie sie sein soll. Wir richten unsere Politik am Menschen aus und nicht den Menschen an unserer Politik. Dieser Pragmatismus ist ein ziemlich griffiges Programm für eine Volkspartei, die sich nie als Programmpartei verstanden hat. „Näher am Menschen“ ist im Übrigen auch ein tragfähiges Konzept, Komplexität zu reduzieren, ohne ins Lager der Vereinfacher abzurutschen. Kompliziert denken, einfach reden – das ist bei der CSU seit jeher erste Generalsekretärsmaxime. Einfach denken, kompliziert reden – das überlassen wir dagegen gerne den anderen.

Unter Schwestern: Was sich liebt, das neckt sich.

Die CSU hat im Temperament – wie die Bayern an sich – vieles im Überschwang und immer auch ein bisschen das Gegenteil davon: Sie kann brutal und sentimental zugleich sein, streitlustig wie ein Löwe und harmoniebedürftig wie ein Kater, so entschlossen in der Sache wie kompromissfähig für die Sache. Aus Unterschiedlichkeit entsteht Reibung, und diese Reibung hat der Union immer genutzt – auch wenn die CDU das manchmal erst im Nachhinein verstanden hat. In den besten Zeiten addieren sich so CDU und CSU; sie werden gewählt, eben weil es auch den anderen gibt. Als CSU wissen wir: Wir sind die kleine Schwester. Aber gerade als kleine Schwester haben wir uns bei den großen Fragen immer stark gemacht. Wir geben zu: Wir sind vermutlich zu manchen Zeiten für die große Schwester ziemlich anstrengend, wie sie übrigens auch für uns. Entscheidend ist, dass wir wissen, was wir aneinander haben und aus Unterschiedlichkeit nicht Dauerstreit werden lassen. Ein bisschen Necken, das bleibt freilich erlaubt. Vielleicht ist diese Streitbarkeit sogar die höchste Form der Zuneigung.

Die helle Seite der Macht: Wie man populär bleibt, ohne populistisch zu werden.

In Bayern wird gewählt (für manche ist schon das eine überraschende Enthüllung) – und am Ende gewinnt immer die CSU. Letzteres ist argumentativ zwar eine gewisse Engführung, aber in etwa genauso zuverlässig vorhersagbar wie der Ausgang eines Fußballländerspiels zwischen Deutschland und England. Und doch ist es vor allem das Ergebnis harter Arbeit und das Beherzigen der drei Popularitätsregeln: 1. Du musst gewinnen wollen (schon daran hat es zum Beispiel bei der Bayern-SPD immer gefehlt). 2. Du solltest Politik für die Mehrheit und nicht gegen die Mehrheit machen. 3. Du darfst es Dir in der Mehrheit nicht bequem einrichten. Heute kommt dazu: Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit ist härter denn je. Die Algorithmen der digitalen Plattformen bevorzugen die schrillen, skurrilen und polarisierenden Töne. Das benachteiligt die Volksparteien der Mitte und befördert den Aufstieg des Populismus. Wir nehmen diese Herausforderung an. Wir wollen die Hoheit auch am virtuellen Stammtisch. Wir werden die Meinungshöhlen im Internet nicht den Populisten überlassen. Aber wir werden nicht versuchen, die Schreihälse zu übertönen – weil man ein Stinktier auch nicht überstinken kann. Oder anders gesagt: Die CSU steht auf der hellen Seite: Dort, wo der Geist von Optimismus und Lebensfreude weht, an Lösungen gearbeitet und an die Zukunft geglaubt wird. Für die Geschichtsschreiber unter den Lesern: Mögliche Anspielungen auf die Star-Wars-Saga und Markus Söders Begeisterung dafür sind rein zufälliger Natur. 

Das Kanzleramt und anderes: Können täten wir’s schon, aber brauchen tun wir’s nicht.

Am Ende steht die Frage aller Fragen: Was ist denn die CSU eigentlich? „Nur“ eine bayerische Partei? Oder geht da noch mehr? Seit ihrer Gründung hat sich die CSU nie reduzieren lassen auf den Status einer Regionalpartei, eben weil sie immer mehr war: Eine politische Kraft mit bundespolitischem Anspruch und europäischer Verantwortung. Den meisten ist die Art und Weise, wie sich die CSU eingebracht hat, so nachhaltig in Erinnerung geblieben, dass sich dann die Frage nach der Übernahme von Spitzenämtern gar nicht mehr gestellt hat. Wir wollen jetzt nicht alte Geschichten aufwärmen, wer vermeintlich unter wem Kanzler war oder was auch immer hätte werden können. Ich würde eher zu einer Formel neigen, die klingt, als wenn sie von Karl Valentin stammt und doch durchaus ernst gemeint ist: Wir wissen, dass wir’s könnten, wenn wir’s müssten – aber brauchen tun wir‘s nicht unbedingt. Damit ist alles gesagt und doch bleibt alles offen. Das ist der Stoff, aus dem Mythen sind.

 

Dieser Artikel ist zuerst am 12.09.2020 auf FOCUS Online erschienen.