Dorothee Bär im Interview

„Digitalkunde in Schulen“

Quelle: Tagesspiegel

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär spricht im Interview über Bürgerdienste online, die Zähmung der Internet-Konzerne und das Wohlgefühl in der Regierungskoalition.

Ab Oktober sollen die Berliner Kfz-Anmeldungen online abwickeln können. Das kündigte Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) im Interview mit dem Tagesspiegel an. Auch für die Ummeldung von Wohnsitzen, Eltern- und Kindergeld soll dann der Gang zum Amt entfallen. Später sollen weitere Dienstleistungen folgen. Neben Berlin starte das Bürgerportal auch in Bayern, Hamburg und Hessen. Gleichzeitig rät Bär dazu, die Arbeit an der elektronischen Gesundheitskarte einzustellen und auf sie zu verzichten.

Frau Bär, wann mussten Sie das letzte Mal aufs Amt – und wie lange haben Sie auf den Termin gewartet?

Ich bin sicher kein Normalfall, weil ich aus einem kleinen Dorf komme, wo das alles unkompliziert ist. Als ich beispielsweise 16 wurde, wollte ich sofort meinen Perso haben – aber es war Wochenende. Also hat mir die zuständige Mitarbeiterin den Ausweis persönlich vorbeigefahren. Das geht aber eben nur in kleinen Orten, deshalb werde ich meinen Wohnsitz auch nie freiwillig aus Franken wegverlegen … (lacht)

Ein Chauffeurservice für Ausweise bleibt wohl für die meisten Leute ein Traum, dennoch ist es Ziel der Regierung, die Verwaltung schneller und effizienter zu machen mit einem digitalen Bürgerportal. Wann geht das Portal online?

Im Oktober geht’s los, mit dabei sind zunächst der Bund und vier Bundesländer: Bayern, Berlin, Hamburg und Hessen. Online erledigt werden können dann Anträge für Kinder- und Elterngeld sowie die An- und Abmeldung für Wohnsitze, Gewerbe und Kfz. Weitere Dienste sollen folgen.

Warum sind nur vier Länder dabei?

Ich bin großer Fan des Föderalismus, aber man stößt hier an seine Grenzen. Ich hoffe, dass sich unter den Ländern ein Wettbewerb entfacht, wer wie viele Dienstleistungen digital anbietet. Das macht ein Bundesland ja auch attraktiver für den Zuzug, sowohl für Bürgerinnen und Bürger als auch für Unternehmen.

Soll die elektronische Gesundheitskarte auch über das Portal verwaltet werden?

Die Frage ist ja, ob wir überhaupt eine Gesundheitskarte brauchen. In Ländern wie Finnland lachen sich die Leute kaputt, wenn sie hören, dass wir dafür eine Karte haben. Die speichern Informationen wie über Arztbehandlungen, Laborwerte, Krankenhausaufenthalte und Verschreibungen in einem nationalen Archiv für Arztdaten. Deshalb bin ich froh, dass wir mit Jens Spahn einen mutigen Gesundheitsminister haben, der disruptiv sagt: Jetzt noch mal alles auf Null – auch, wenn es einen Aufschrei geben wird.

Verständlich nach 14 Jahren Planung und Ausgaben von 1,2 Milliarden Euro, oder?

Ja, aber es ist eben die gleiche Frage wie beim Berliner Flughafen BER: Schießt man gutem Geld noch viel Schlechtes hinterher. Oder macht man was Gescheites?

Weniger radikal, aber dennoch spürbar wollte die neuen Regierung eigentlich die Zuständigkeiten für Digitalthemen bündeln, mit denen sich in den 14 Ministerien bisher 76 Abteilungen beschäftigen. Jetzt gibt’s allein hier im Kanzleramt vier Abteilungen. Wer ist denn nun der Chef?

Die Chefin ist immer die Kanzlerin. Als Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin arbeite ich selbstverständlich ihr als auch dem Kanzleramtsminister zu. Mit Eva Christiansen arbeite ich eng zusammen, sie ist die fachlich zuständige Abteilungsleiterin. Aber es muss sich jeder Mitarbeiter der Regierung als digitaler Mitarbeiter verstehen und sich der Sache verpflichtet fühlen. Alle 14 Bundesminister müssen Digitalminister sein.

Sind Sie als Staatsministerin ohne eigenes Budget und ohne größeren Kompetenzbereich das schwächste Glied in der Digital-Kette des Kanzleramtes?

Da gibt absolut kein Konkurrenzverhältnis, im Gegenteil. Es hilft vielmehr, wenn ich sehe, dass der Kanzlerin das Thema Digitalisierung so wichtig ist. Die neue Abteilung, die sich mit Digitalisierung befasst, ist unser Arbeitsmuskel. Für den wir übrigens über externe Ausschreibungen auch einige Querdenker und Nerds suchen, die im positiven Sinne „verrückt“ sind.

Gibt nicht genügend Verrückte in den Ministerien?

Wenn man die Leute in den Ministerien lassen würde, vielleicht schon. Sicher brauchen wir auch Leute, die sich auskennen, gerade wenn es um digitale Verwaltung geht. Aber gerade für Themen wie Games haben wir Hoffnung, dass sich ein paar Nerds auf die Ausschreibungen bewerben.

Was sollte denn einen Nerd ins Kanzleramt ziehen?

Es macht doch mehr Spaß, ein System von innen heraus zu verändern, als nur am Spielfeldrand zu stehen und zu meckern. Ich hoffe, dass die aber nicht nur mitmachen, um dann wie die Angestellten bei den Royals anschließend ein Buch drüber zu schreiben.

Wäre auch fraglich, ob das ein Bestseller wird. Eines der wichtigsten Themen auf der Digitalagenda ist Künstliche Intelligenz. Wie wird sie unsere Arbeitswelt verändern?

Ich würde das nicht allein auf Künstliche Intelligenz beschränken. Bei meinem Opa im Betrieb gab’s früher noch Saalkehrer und Brotzeitholer. Dass die weg sind, hat nichts mit Digitalisierung zu tun. Trotzdem müssen wir den Menschen ihre Ängste nehmen – das geht selbstverständlich nicht per Gesetz nach dem Motto: Fürchtet Euch nicht.

Wie dann?

Zunächst einmal muss man jedem Bürger aufzeigen, wie er von der Digitalisierung profitieren kann. Vielleicht allein deshalb, weil der Weg zur Arbeit komfortabler zu bewältigen ist. Sicher wird es auf Dauer schwierig für geringer qualifizierte Menschen, aber deshalb gilt es umso mehr, die leere Worthülse vom lebenslangen Lernen endlich zu füllen.

Wie wollen Sie das tun?

Wir müssen zum Beispiel die Hochschulen mehr für Weiterbildung nutzen. Ich hatte da schon gute Gespräche mit den Rektoren aller bayrischen Fachhochschulen. Aber auch Arbeitgebern müssen wir etwas anbieten, damit sie ihre Arbeitnehmer dafür zeitweise freistellen. Bei Schülern sehe ich dagegen keine Ängste, die Sechst- oder Siebtklässler gehen davon aus, dass es den Beruf, den sie später ausüben werden, heute noch gar nicht gibt.

Es sei denn, sie wollen Influencer werden, also mit ihren Posts auf Plattformen wie Instagram Geld verdienen. Muss das Medium stärker reguliert werden, weil Jugendliche auf Schleichwerbung reinfallen?

Ich glaube nicht, dass die so doof sind. Zumal solche Werbebeiträge ja auch gekennzeichnet werden müssen. Aber sicher ist Erziehung und Elternsein in der digitalen Welt wesentlich anstrengender geworden. Verbote oder strengere Jugendmedienschutzgesetze bringen allerdings wenig, weil bei den Altersangaben leicht zu mogeln ist. Eltern müssen deshalb hinschauen und auch Bescheid wissen darüber, was ihre Kinder im Netz so machen. Meine elfjährige Tochter darf auch nicht einfach das posten, was sie will.

Nicht alle Eltern interessiert, was ihre Kinder im Netz so treiben. 

Deshalb plädiere ich für Digitalkunde in den Schulen. Da geht es nicht allein ums Programmierenlernen, sondern darum, was man posten darf und was nicht, um Themen wie Grooming oder Stalking. Das muss ja auch kein bayerischer Staatsbeamter übernehmen, der im Zweifel digital nicht ganz so fit ist, sondern ein Experte, der nah dran ist an der Altersgruppe.

Instagram ist eine Tochter von Facebook, der Konzern stand zuletzt wegen des Datenabflusses an die Firma Cambridge Analytica in der Kritik. Wie wollen Sie mit der immer größeren Macht der Internetkonzerne umgehen?

Wir bekommen da mit der neuen Datenschutzgrundverordnung ein stärkeres Schwert in die Hand. Europäisch, aber auch hierzulande.

War die deutsche Regierung bisher zu unterwürfig?

Unterwürfig nicht, aber jedes Ministerium hat sein eigenes Süppchen gekocht. Um gegen die Konzerne anzukommen, ist aber eine konzertierte Aktion notwendig.

Was erwarten Sie also von Verbraucherschutzministerin Katarina Barley, was ihr Vorgänger Heiko Maas nicht geleistet hat?

Eine härtere Gangart gegenüber den Verantwortlichen und klare Regeln, was geht und was nicht. Das ist natürlich unbequem, denn die Vertreter der US-Konzerne wollen eigentlich nur Wohlfühltermine.

Wie wohl fühlt sich denn den CSU eigentlich in der neuen Koalition?

Sehr, die CSU ist wieder wer in Berlin. Mit Alexander Dobrindt haben wir einen Landesgruppenchef, der seinen Job ganz hervorragend macht. Zum Beispiel, indem er keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass wir eine von drei gleichberechtigten Parteien in dieser Koalition sind.

Dobrindt besetzt seine Rolle ganz anders als seine Vorgängerin Gerda Hasselfeldt, die eher mäßigend gewirkt hat. Sind die harschen Töne des neuen Landesgruppenchefs denn hilfreich?

Ja, sein Auftreten ist sehr hilfreich. Und es steckt auch an. In unseren Sitzungen herrscht seither wieder ein ganz anderer Korpsgeist. Ich bin begeistert, wie er das macht.

Zuletzt gab es heftigen Streit wegen des Vorstoßes von Regierungschef Markus Söder, dass in allen bayerischen Behörden am Eingang Kreuze angebracht werden müssen. Kardinal Reinhard Marx warf Söder vor, dadurch „Spaltung und Unruhe“ in die Gesellschaft zu bringen.

Ja. Ich habe selber ganz viele Briefe bekommen, weil ich mich in meinem Wahlkreis auch zur Kreuz-Debatte geäußert habe. Die einen haben sich bei mir über die Kritik des Kardinals beschwert. Die andern ärgert es, dass sie ihn nicht per Mail erreichen können, um ihm die Meinung zu sagen.

Da können Sie als Fachfrau ja Abhilfe schaffen…

Viele meiner Kollegen berichten aus Sonntagsgottesdiensten, in denen Dorfpfarrer für das Kreuz und gegen die Positionen ihrer Kirchenoberen predigen, katholisch wie evangelisch. Und wenn ich mir die Umfragen in Bayern anschaue, kann ich nur sagen: Die Debatte läuft für uns.

Der Streit ums Kreuz kam ja nur obendrauf. Zum großen Zerwürfnis mit den Kirchen hat eher etwas anderes geführt: die Ausländerpolitik der CSU.

Auch hier muss ich widersprechen. Die meisten Flüchtlingshelferinnen in meinem Landkreis sind sowohl Kirchgängerinnen, als auch Mitglieder der Frauenunion. Und da gärt es inzwischen auch, weil viele nicht verstehen, dass man Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt, die nicht etwa in Kriegsgebiete, sondern nur nach Italien oder nach Holland abgeschoben werden sollen. Vor Ort ist die Sichtweise schon etwas differenzierter als bei manch einem Kirchenoberen.

In Bayern schmiert die SPD ab, stattdessen legen die Grünen zu. Beunruhigt Sie das oder eröffnet es neue Perspektiven?

Ich erlebe ein sehr starkes Drängen der bayerischen Grünen, an der nächsten Regierung beteiligt zu sein. Die bedeuten inzwischen auch ihrer Parteispitze in Berlin sehr massiv, dass sie mit uns koalieren wollen. Wir äußern uns dazu nicht. Die Entscheidung fällt nach der Wahl am 14. Oktober. Und eigentlich haben wir nach der Koalition mit FDP in Bayern die Erfahrung gemacht, dass Alleinregieren am schönsten ist.