Artikel vom 13.09.2019
Bericht Merkur.de - Lehrermangel in Freising
BLLV-Vorsitzende Kerstin Rehm greift Kultusminister an

Mit Ach und Krach konnten alle Klassleiterstellen im Kreis Freising besetzt werden. BLLV-Kreisvorsitzende Kerstin Rehm schlägt Alarm.
Freising – Unter größten organisatorischen Anstrengungen hat das Freisinger Schulamt in diesem Jahr alle Klassleiterstellen besetzen können. Eine Erfolgsmeldung ist das für die Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Kerstin Rehm (60), allerdings nicht – ganz im Gegenteil. Im FT-Interview berichtet sie, wie hoch der Preis dafür war, und wo es im Bildungssektor brennt. Vor allem den Kultusminister knöpft sie sich vor.
Frau Rehm, der BLLV hat im Juli Alarm geschlagen, dass in Bayern noch rund 500 Lehrerstellen unbesetzt sind. „Die Hütte brennt“, hieß es im Verband. Im Landkreis Freising konnten nun alle Klassleiterstellen an den 41 Grund- und Mittelschulen besetzt werden. Ist der Brand jetzt gelöscht?
Nein, er lodert weiterhin heftig. Zwar hat jetzt jede Grund- und Mittelschulklasse im Landkreis einen Lehrer, aber das hatte einen hohen Preis. Erstens haben 30 Teilzeitlehrer sich kurzfristig bereit erklärt, ihr Pensum aufzustocken. Die hatten zwar eine andere Lebensplanung, haben aber gesagt: Wir wollen helfen, weil es uns um die Kinder geht. Zweitens musste auf die mobile Reserve zurückgegriffen werden. Die besteht aus 38 Lehrern – Vollzeit- und Teilzeitkräften –, die eigentlich dann aushelfen sollen, wenn Kollegen an Schulen krankheitsbedingt ausfallen. 14 davon werden jetzt aber fest in Schulen eingesetzt.
Lehrermangel: Mobile Reserve wurde ausgedünnt
Die Mobile Reserve wurde also zweckentfremdet?
So ist es. Wir haben jetzt für 453 Klassen an Grund- und Mittelschulen noch eine mobile Reserve von 24 Köpfen. Ich bin gespannt, was passiert, wenn die erste Grippewelle anrollt. Ich sage Ihnen voraus, dass einige Klassen daheimbleiben müssen.
Die Besetzung aller Stellen hat aber noch einen weiteren Preis, wie Schulamtsdirektorin Irmintraud Wienerl selbst betont hat: Es müssen alle genommen werden – auch Absolventen mit einem schlechten Uni-Abschluss.
Auch das kann es nicht sein. Nicht jeder ist für diesen Beruf geeignet. Unsere Kinder sollen von guten Lehrern unterrichtet werden. Darauf haben sie ein Anrecht. Dazu gehört auch, dass sie nicht von fachfremden Lehrern betreut werden. Derzeit werden nämlich etliche Grundschullehrer an Mittelschulen, und Mittelschullehrer an Grundschulen eingesetzt. Das ist ein Irrsinn, denn Grundschullehrer müssen sich erst in die Fachgebiete der Mittelschule einarbeiten, und den Mittelschullehrern fehlt eigentlich das Know-how für die Didaktik, die an Grundschulen notwendig ist.
Rehm: „Unverschämtheit“ vom Kultusminister
Warum bleiben denn die Grundschullehrer nicht an der Grundschule, und die Mittelschullehrer an der Mittelschule?
Ein Vollzeitmittelschullehrer, der ein Kontingent von 27 Stunden hat, wird nur für 23 Pflichtstunden benötigt. Die restlichen vier Stunden werden dann nicht dafür verwendet, um an seiner Mittelschule ein Zusatzangebot zu realisieren. Der Lehrer wird stattdessen an eine Grundschule geschickt, weil dort zum Beispiel noch vier Pflichtstunden unbesetzt sind.
Und trotzdem bestreitet Kultusminister Michael Piazolo (FW), dass es einen Lehrermangel gibt.
Es ist eine Unverschämtheit, dass er sich hinstellt und sagt, dass alles paletti ist. Noch mal: Dass im Landkreis alle Lehrstellen besetzt werden konnten, haben wir nicht dem Kultusministerium zu verdanken, sondern unserem kreativen Schulamt und unseren extrem flexiblen Lehrkräften, die hier große Hilfe zur Selbsthilfe leisten.
Lehrermangel: „Werden Folgen zu spüren bekommen“
Wenn das Personal so auf Kante genäht ist – kann Schule dann eigentlich noch alles leisten, was sie leisten sollte?
Eben nicht. Sogenannte schulentwicklungsbildende und schulprofilbildende Maßnahmen bleiben auf der Strecke. Zusatzangebote, Theater, Musik, Schach oder Italienisch können nicht mehr angeboten werden. Auch Differenzierungsgruppen, in denen Schüler gezielt gefördert werden, finden quasi nicht mehr statt. Und für intensivierende Maßnahmen – Stichwort: Inklusion – bleiben ebenfalls keine Stunden übrig. Das ist fatal für unsere gesellschaftliche Entwicklung. Wir werden die Folgen in nächster Zukunft zu spüren bekommen.
Wie finden Sie die Idee, dass angehende Gymnasiallehrer, die keinen Job finden, auf Grund oder Mittelschule umgeschult werden?
Das Problem ist, dass wir auf diese Lehrer nicht bauen können. Denn sobald am Gymnasium doch eine Stelle frei wird, sind sie weg – allein schon, weil sie dort besser bezahlt werden. Das kann man ihnen auch gar nicht vorwerfen. Das haben sie studiert, das war ihr Berufswunsch.
BLLV-Vorsitzende: „Lehrerberuf wird deklassiert“
Dann halten Sie vermutlich auch nichts vom neuen Konzept des Ein-Fach-Lehrers, also dass Spezialisten aus anderen Berufen nebenbei unterrichten?
Der Gärtner soll dann Biologie unterrichten. Ich finde das unmöglich. Lehrer werden extrem gut ausgebildet, absolvieren zahlreiche Prüfungen, um sich zu qualifizieren – und dann kommen andere, und machen mal nebenbei Unterricht. Das ist für mich eine von der Politik betriebene Deklassierung des Lehrberufs.
Was müsste getan werden, um den Lehrermangel an Grund- und Mittelschulen zu beseitigen?
Im ersten Schritt muss das Gehalt mal deutlich aufgewertet werden. Die Bezahlung ist nämlich völlig unattraktiv. Viele Lehrer haben einen Zweitjob, um ihr Leben bestreiten und die teuren Mieten hierzulande bezahlen zu können. Zudem muss die Unterrichtsverpflichtung zurückgefahren werden, damit die Lehrer in ihrer Arbeitszeit auch anderweitige Verpflichtungen erfüllen können: die Zusammenarbeit mit Eltern oder mit Psychologen, die sich um „schwierigere“ Kinder und Jugendliche kümmern. Vor allem aber muss dieser Beruf mehr Wertschätzung erfahren.
Rehm schlägt Praktikum für Politiker vor
Auch da wäre die Politik gefragt?
Meiner Meinung nach sollten Politiker jedes Jahr ein Praktikum in der Materie machen, für die sie zuständig sind. Wäre schön, wenn der Kultusminister mal vier Wochen eine Schule besuchen würde, um zu sehen, was dort los ist. Dann kommt vielleicht eine bessere Politik heraus.
Bericht von Manuel Eser