Ortsverband Zwiesel

Stadt ehrt Frau Dr. Hieke

Teil der Jahnstraße wird in Dr.-Elisabeth-Hieke-Straße umbenannt

Von Rainer Schlenz - Bayerwaldbote

Zwiesel. Sie war eine Visionärin, aber eine, die es nicht bei Visionen beließ: Mit ungeheurer Tatkraft setzte Dr. Elisabeth Hieke in den Nachkriegsjahren ihre Vorstellung von einer Einrichtung zur beruflichen Ausbildung junger Frauen um und hob das „Mädchenwerk“ aus der Taufe. Heute ist das „Berufsbildungszentrum für soziale Berufe“ eine Institution in Zwiesel und wird gerade für einen zweistelligen Millionenbetrag runderneuert. Die Stadt würdigt jetzt die vor genau 100 Jahren geborene Gründerin, indem sie einen Teil der Jahnstraße in Dr.-Elisabeth-Hieke-Straße umbenennt.
Dazu hat es in der Sitzung des Ferienausschusses des Stadtrates einhellige Zustimmung gegeben. Eingebracht hatte den Antrag die CSU-Fraktion, für die Dr. Elisabeth Zettner in der Sitzung nochmals eine ausführliche Begründung lieferte. Sie zeichnete den Lebensweg der am 12. August 1921 geborenen, aus einer angesehenen Zwieseler Kaufmannsfamilie stammenden Elisabeth Hieke nach: Diese hatte die Volksschule in Zwiesel besucht, danach das Mädchenlyzeum Englische Fräulein in Traunstein und die Oberrealschule Deggendorf.
Während des 2. Weltkriegs führte die junge Frau der Weg zunächst nach München, wo sie an der Ludwig-Maximilians-Universität Deutsch, Französisch und Geschichte studierte. 1942 wechselte sie an die Leopold-Franzens- bzw. Deutsche-Alpen-Universität in Innsbruck und tauschte das Studienfach Geschichte gegen Volkskunde.
1944 promovierte sie dort an der philosophischen Fakultät zum Dr. phil.. Elisabeth Hieke war die erste Zwieslerin mit einem Doktortitel. Das Thema ihrer Doktorarbeit war übrigens eines aus ihrer Heimat: „Siedlung in einem Waldgebiet. Versuch einer Siedlungskunde für das Einzugsgebiet des Großen bzw. Schwarzen Regens bis zur Regener Kreisgrenze“.
Zurück in Zwiesel begann Elisabeth Hieke bereits 1945 ihren Einsatz im Caritasverband Passau und gewährte Flüchtlingen aus dem böhmischen Raum in einer Baracke Hilfe. Wenige Jahre später schlug schließlich die Geburtsstunde des Mädchenwerks, das zum Lebenswerk der tief gläubigen jungen Frau werden sollte. Elisabeth Hieke sah die große Berufsnot der Mädchen und jungen Frauen in und um Zwiesel und beschloss, dagegen etwas zu unternehmen. 1950 gründete sie den Mädchenwerk-Verein und leitete den Bau eines Schulhauses auf einem Grundstück an der Theresienthaler Straße in die Wege.
Die Schülerinnen absolvierten zunächst einen hauswirtschaftlichen Grundausbildungslehrgang, aus dem sich die Berufsfachschule für Kinderpflege entwickelte. Die Mädchenwerk-Gründerin muss in den Anfangsjahren ein gewaltiges Arbeitspensum absolviert haben: Sie war Schulleiterin und zugleich Heimleiterin und Geschäftsführerin. Selbstdisziplin, Ehrgeiz und Willenskraft, es waren wohl diese ausgeprägten Eigenschaften, mit denen Dr. Elisabeth Hieke ihr Projekt zum Erfolg führte in einer Zeit, da Führungspositionen noch so gut wie ausschließlich in Männerhand waren. „Dass irgendetwas nicht geht, nur weil ich eine Frau bin, das ist mir gar nicht in den Sinn gekommen“, sagte sie später einmal.
Unerschütterlich trotzte Elisabeth Hieke allen Widerständen und Finanzierungsengpässen und baute das Mädchenwerk zu einer weitum geschätzten, christlich geprägten Bildungseinrichtung aus, sowohl inhaltlich als auch räumlich.
Heute sind unter dem Dach des Mädchenwerks Berufsfachschulen für Altenpflege/Pflege, Altenpflegehilfe und Kinderpflege sowie eine Fachakademie für Sozialpädagogik (Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin/Erzieher) vereint; auch ein Schülerinnenheim ist Teil der Einrichtung. Und seit vergangenem Jahr kann man am Don Bosco Campus des Mädchenwerks sogar berufsbegleitend „Soziale Arbeit“ studieren.
Das Berufsbildungszentrum, an dem weit über 300 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden, beschäftigt über 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon mehr als 60 Lehrkräfte
Dr. Elisabeth Hieke war bis 1986 die zentrale Figur beim Mädchenwerk und auch nach ihrem Rückzug aus dem aktiven Geschäft blieb sie der Einrichtung eng verbunden. Im Januar 2010 starb Elisabeth Hieke im Alter von 88 Jahren im Altenheim St. Helena.
Für ihr Engagement hatte sie zahlreiche Ehrungen erhalten, darunter das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, das Päpstliche Ehrenkreuz De Ecclesia et Pontifice und das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Zwiesel.
„Sie hat gesehen, analysiert und gehandelt – sie ist ein bleibendes Vorbild“, sagte Elisabeth Zettner bei der Begründung des CSU-Antrags im Ferienausschuss. Dass Dr. Hieke Außerordentliches für die Stadt geleistet hat, das war im Gremium unstrittig. Eine kurze Diskussion gab es lediglich zur Frage, ab welcher Stelle die jetzige Jahnstraße künftig Dr.-Elisabeth-Hieke-Straße heißen soll. Letztlich wurde beschlossen, das Teilstück zwischen Jahnsportplatz und Einmündung in die Theresienthaler Straße nach der Mädchenwerk-Gründerin zu benennen. Der Sportplatz selbst soll weiterhin an der Jahnstraße liegen.
In den Ausschuss-Beschluss integriert ist auch der Wunsch, die Anschrift des Mädchenwerk-Berufsbildungszentrums auf Dr.-Elisabeth-Hieke Straße zu ändern. Bislang firmiert der Schulkomplex an der Kreuzung Jahnstraße/Theresienthaler Straße unter Theresienthaler Straße 1