Landesgeschäftsführer

"Wir sind noch lange nicht über den Berg"

Der Landesgeschäftsführer der Mittelstands-Union, Alexander Gropp, sprach mit der Kitzinger Fundgrube über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft. Das Interview erschien am 01.10.2020.

Fundgrube: Herr Gropp, der Staat hat Konzerne wie die Lufthansa oder die TUI mit Milliardensummen gestützt. Finden Sie, dass die Bundes- und die Staatsregierung auch dem Mittelstand in der Corona-Krise ausreichend geholfen haben?

Die vom Bund und vom Freistaat Bayern ergriffenen Maßnahmen konnten die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abfedern. Vor allem die finanziellen Unterstützungsprogramme sind der Grund, dass viele Unternehmen, die teils existenzbedrohende Umsatzeinbußen verzeichneten, gerettet werden konnten. Im Fall von Lufthansa und TUI waren entsprechende Sonderpakete von Nöten, denn gerade an deren Wertschöpfungsketten hängen viele mittelständische Unternehmen. Neben der Versorgung mit Liquidität ist es nun aber vor allem entscheidend, wie wir die Unternehmen politisch unterstützen, damit sie wieder aus eigenen Kräften aufstehen können.

Fundgrube: Viele kleine Unternehmen haben das Überbrückungsgeld nicht bekommen, da der Umsatzeinbruch in den Monaten April/Mai dieses Jahres 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr betragen musste. Wenn jemand also die Hälfte des Vorjahresumsatzes machte, ist er also nicht hilfsbedürftig?

Das lässt sich so nicht sagen. Die solide Finanzpolitik der vergangenen Jahre - sowohl im Bund, als auch im Freistaat - haben uns den finanziellen Spielraum eröffnet, wodurch wir uns das Überbrückungsgeld überhaupt so kurzfristig haben leisten können. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein: auch dieser finanzielle Spielraum ist begrenzt, die mobilisierten Summen sind neu aufgenommene Schulden und wir können nicht jedem im vollen Umfang helfen.

Fundgrube: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versprach alles zu tun, damit kein gesundes Unternehmen schließt und kein Arbeitsplatz wegen Corona verloren geht. Und Bundesfinanzminister Olaf Scholz möchte „mit Wumms“ durch Mehrwertsteuersenkung und Milliardenhilfen auf Pump aus der Krise gehen. Teilen Sie den Optimismus?

Deutschland und insbesondere Bayern stehen im europäischen Vergleich wirtschaftlich deutlich stabiler da, weil wir zum einen solide gehaushaltet haben, aber auch weil wir ein hoch innovativer, mittelständisch geprägter Wirtschaftsstandort sind. Wir werden die Krise durchstehen, weil wir anpacken. Die Mehrwertsteuersenkung wird dabei unterstützen. Dennoch: Wir sind noch lange nicht über den Berg. Wie die Pandemie weiter verläuft geschweige denn, wann sie endet, ist nicht absehbar. Entsprechend unsicher ist auch die wirtschaftliche Lage und wie es hier weitergeht.

Es gibt in vielen Branchen Verlierer, vor allem dort, wo zeitweise gar kein Umsatz generiert wurde und wo dieser Verlust in Zukunft auch nicht mehr ausgeglichen werden kann. Es kommt nun auf die richtigen politischen Entscheidungen an, die unsere Wirtschaft stärken und den Unternehmen mehr Luft zum Atmen lässt, damit Sie aus eigener Kraft wieder aufstehen können.

Fundgrube: Was würde dem Mittelstand noch viel mehr als die temporäre Mehrwertsteuersenkung helfen?

Die temporäre Senkung der Mehrwertsteuersätze ist ein starkes Instrument, um den Konsum anzukurbeln. Den Verbrauchern bleibt letztlich mehr Geld über, das sie investieren können. Das ist aber nur bei größeren Investitionen spürbar. Für viele Unternehmer ist die temporäre Absenkung aber vor allem eine zusätzliche Belastung bürokratischer Art, da sie in diesem Jahr zwei unterschiedliche Sätze berechnen müssen. Wir fordern daher eine langfristige Beibehaltung der Sätze.

Darüber hinaus glauben wir, dass unser Mittelstand gerade jetzt mehr Luft zum Atmen braucht. Das heißt zum einen, dass wir die Unternehmenssteuern massiv senken müssen, dass wir Bürokratie abbauen müssen, und dass wir grundsätzlich die unternehmerische Freiheit achten und uns weniger einmischen. Unsere Soziale Marktwirtschaft lebt vom fairen Wettbewerb. Der Staat muss hierzu die besten Bedingungen bieten.

Fundgrube: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnte vor einer Pleitewelle unvorstellbaren Ausmaßes, wenn die Insolvenz-Anzeigepflicht wieder eintritt. Mit was rechnen Sie?

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht war ein wichtiger Schritt. Durch Corona plötzlich ins Wanken geratene Unternehmen erhalten einen zeitlichen Aufschub, sich zu restrukturieren. Unterstützt wurden sie in dieser Phase mit Sofortzahlungen, LfA- bzw. KfW-Krediten, Steuerstundungen, der Überbrückungshilfe usw. Aber natürlich ist klar: Die Gefahr einer Insolvenzwelle besteht.

Fundgrube: Es ist schon schlimm, dass Amazon & Co. durch Corona zu Lasten des Einzelhandels und Mittelstands noch mehr verdient haben, oder?

Der Online-Handel hatte in der Krise den Vorteil, dass er nahezu ohne menschliche Kontakte auskam. Das ist ein systemischer Vorteil. Aber der Einzelhandel hat vielerorts kreativ reagiert. Ich habe von mehreren Zusammenschlüssen von Einzelhändlern gehört, die Plattformen geschaffen haben, wo sie regional ihre Produkte angeboten haben. Der eigentliche Skandal liegt nach wie vor darin, dass Amazon & Co. sich zu wenig an der Finanzierung unseres Gemeinlebens in Europa beteiligen und Steuerschlupflöcher nutzen.

Fundgrube: Warum gibt es dann immer noch Steueroasen in Europa, bzw. wieso wird der Gewinn nicht im jeweiligen Land besteuert, in dem Gewinne gemacht werden?

Die Steuergesetzgebung ist ein Hoheitsrecht der Nationalstaaten – und das ist auch gut so. Wir erheben Steuergeld – und wir entscheiden auch, wofür wir es einsetzen. Wir sind stolz darauf, dass wir uns beispielsweise unseren starken Sozialstaat überhaupt leisten können. Der Haken daran ist, dass wir durch die unterschiedlich hohen Steuersätze im Wettbewerb mit den anderen europäischen Staaten stehen und die Europäische Union keinerlei Sanktionsmöglichkeiten gegen schwarze Schafe hat. Hier müssen wir nachbessern, damit dieser Missstand endlich beendet wird.

Davon unabhängig sollten wir unser Hoheitsrecht der Steuergesetzgebung aber auch zu unserem eigenen Vorteil nutzen, um unseren hoch innovativen Standort zu stärken. Als MU fordern wir deshalb: Die Unternehmenssteuern in Deutschland müssen runter, denn wir sind im europäischen und internationalen Vergleich Spitzenreiter – im negativen Sinne.

Fundgrube: Was sollten wir aus der Krise lernen?

Der Grund, warum wir unsere Wirtschaft in der Krise bislang so kräftig unterstützen konnten, ist unsere solide finanzielle Lage. Das haben wir unserer erfolgreichen Haushaltspolitik der vergangenen Jahre zu verdanken. Das gilt sowohl für den Bund, als auch für den Freistaat Bayern. Wir werden noch lange mit den Folgen der Neuverschuldung zu kämpfen haben, aber es muss klar sein, dass wir wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt und zur Schuldentilgung zurückfinden müssen. Das Geld muss erwirtschaftet werden. Und dazu brauchen unsere Unternehmen mehr Freiheit.

Fundgrube: Der Mittelstand sieht sich als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Erfährt der Mittelstand die dementsprechende Wertschätzung von der Politik?

Die Krise hat uns deutlich vor Augen geführt, welchen Wert unsere vielfältige, mittelständisch geprägte Wirtschaft hat. Auf ihr fußt unser Wohlstand, und er wird durch unser innovatives Unternehmertum und die eng vernetzten Wertschöpfungsketten gesichert. Durch sie können wir uns unseren starken Sozialstaat überhaupt erst leisten. Insofern freut es mich, dass die Wirtschaftspolitik nun wieder verstärkt in den Fokus gerückt ist und auch der politische Mitbewerber weniger Schröpf- und Regulierungsphantasien zu Lasten unserer Unternehmen entwickelt. Auch sie können sich offensichtlich dieser Tatsache nicht verschließen. Die hohen Zustimmungswerte zur Union sind vor allem als Zuspruch zu unserer Wirtschaftspolitik zu verstehen – und wir haben unseren Mittelstand als Rückgrat unserer Wirtschaft immer im Blick.

Fundgrube: Die Mittelstands-Union fordert schon lange einen steuerfreien Betrag bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Wir sind das Land mit den weltweiten zweithöchsten Steuern und Abgaben. Bewegt sich da was in der Koalition?

Wir haben in der Union ein umfassendes Konzept zur Unternehmenssteuermodernisierung erarbeitet, welches auch in der breiten Mehrheit des parlamentarischen Spektrums großen Zuspruch erfährt. Aufgrund der aktuellen Situation muss dieses nun jedoch neu bewertet werden. Wir halten aber an unserem Grundsatz fest: Wir müssen die Unternehmenssteuern in Deutschland dringend auf ein angemessenes Niveau absenken. Damit einher geht auch, dass wir die Bürger entlasten wollen. Auch im Bereich des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes sehen wir Chancen.

Fundgrube: Viele Menschen, vor allem Rentner müssen/möchten hinzuverdienen. Auch nützen kleinere Unternehmen die 450 Jobs, um flexibel Arbeit zu organisieren. Durch die Erhöhung des Mindestlohns müsste die Grenze längst auf 500 oder 550 Euro erweitert werden. Wird wegen der Corona-Krise evtl. der Satz von 30% Abgaben auf Minijobs erhöht? Wird der Solidaritätszuschlag weitere Jahre als „Corona-Soli“ weitergeführt?

Die Mittelstands-Union setzt sich seit Langem für eine Erhöhung der Verdienstobergrenze ein. Wir haben diese in den Koalitionsvertrag mit den Freien Wählern in Bayern verankert. Die Staatsregierung hat in Folge dessen eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die Verdienstobergrenze bei Minijobs auf 560 Euro anzuheben. Diese Initiative scheiterte an einer rot-grünen Mehrheit. Wir werden aber auch weiterhin dafür kämpfen, denn gerade nach Corona bleibt der Minijob eine attraktive und flexible Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen. Wir werden uns auch hier gegen eine Erhöhung der Abgabenlast aussprechen.

Zum Soli: Er wurde damals mit dem Versprechen des Aufbaus Ost etabliert. Dieser ist abgeschlossen. Es ist nur gerecht, dass er schnellstmöglich und vollständig abgeschafft wird.